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10.
Juli 2009
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1.
Neue EBR-Richtlinie in
Kraft getreten
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Nach
mehr als fünf Jahren ist das Verfahren zur Revision der
EBR-Richtlinie seit dem 5. Juni 2009 abgeschlossen. Obwohl bereits im
Dezember 2008 politisches Einvernehmen hergestellt war (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2008), führten
Übersetzungsprobleme zu einer weiteren Verzögerung.
Die Beschlußfassung im Ministerrat fand dann am 23. April
2009 statt. Erneut enthielt sich die britische Regierung der Stimme,
alle anderen EU-Regierungen stimmten zu.
Am 6. Mai 2009 unterzeichnete
das Europäische Parlament die
neue
Richtlinie und am 16. Mai 2009 wurde sie im Amtsblatt der
Europäischen Union veröffentlicht. Zwanzig Tage
später,
also am 5. Juni 2009, trat sie offiziell in Kraft. Sie gilt in allen
Ländern des Europäischen Binnenmarktes, also im
Vereinigten
Königreich genauso wie in Norwegen, Island und Liechtenstein.
Die
Schweiz ist formal ausgeschlossen. Kroatien und die Türkei
werden
die neue Richtlinie am Tag ihres Beitrittes zur EU in die nationale
Rechtsordnung übernehmen.
Jetzt
tickt die Uhr:
Übergangsfrist bis Juni 2011
Viele
EBR-Mitglieder haben auf diesen Tag lange gewartet. Die verbesserten
Regeln gelten aber nicht automatisch, sondern müssen in die
bestehenden EBR-Vereinbarungen integriert werden. In einigen wenigen
Unternehmen ist dies schon erfolgt, Beispiele hierzu finden sich in
diesem Newsletter. Für alle anderen Unternehmen gilt:
Während
der Gesetzgeber seine Arbeit zunächst einmal erledigt hat,
fängt die Arbeit für die Betriebsräte jetzt
an. Es
empfiehlt sich, die zweijährige Übergangsfrist nicht
bis zum
letzten Tag auszuschöpfen und unverzüglich mit der
Arbeit zu
beginnen.
Dabei
ist folgendes zu beachten:
-
Vereinbarungen
nach Artikel 13: Hier ist
dringender Handlungsbedarf geboten.
-
Vereinbarungen
nach Artikel 6: Es ist rechtlich noch nicht abschließend
geklärt, ob und an welchen Stellen die neue EBR-Richtlinie
automatisch greift. Die Gewerkschaften vertreten hier unterschiedliche
Positionen. Daher läßt der Europäische
Gewerkschaftsbund (EGB) gerade ein Rechtsgutachten erstellen. Um sicher
zu gehen, empfiehlt sich eine genau überlegte, qualifizierte
Nachverhandlung, wobei die neue Richtlinie als Mindestnorm gelten
sollte.
-
EBR kraft
Gesetz: Hier gelten die neuen
Bestimmungen ab Juni 2011 automatisch.
Zunächst
ist eine genaue Analyse jedes Einzelfalls erforderlich. Die Experten
des Trainings- und Beratungsnetzes "euro-betriebsrat.de" stehen gerne
zur Verfügung.
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2.
Euro-Betriebsräte analysieren die neue Rechtslage
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Konferenz
zur neuen EBR-Richtlinie in Italien
Am
7. und 8. Mai 2009 fand in Rom eine deutsch-italienische Konferenz
für Europäische Betriebsräte statt, die vom
Trainings- und Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" gemeinsam mit dem
italienischen Institut IRES und der Friedrich-Ebert-Stiftung
organisiert wurde. Etwa 50 Teilnehmer aus Betrieben und Gewerkschaften
diskutierten die neue Rechtslage u. a. mit Evelyne Pichot von der
Europäischen Kommission in Brüssel und Prof. Dr.
Ulrich Zachert von der Universität Hamburg. Für
italienische Arbeitnehmervertreter war dies die allererste Gelegenheit,
sich nach Verabschiedung der EBR-Richtlinie hierüber genauer
zu informieren.
Am
zweiten Konferenztag wurden die interkulturellen Probleme bei der
Gründung eines Europäischen Betriebsrates anhand von
zwei Beispielen diskutiert. Je ein deutscher und ein italienischer
Referent beleuchtete die Hintergründe in der Bankengruppe
UniCredit (siehe Bericht
in den EBR-News 1/2007) und im Zementkonzern Buzzi Unicem
(siehe Bericht
in den EBR-News 2/2008). In beiden Fällen gab es
zuvor eine deutsch-italienische Firmenfusion.
Workshop der
ver.di-Bundesverwaltung in Berlin
Vom
17. bis 19. Juni 2009 fand im ver.di-Bildungszentrum Berlin ein
Workshop zur neuen EBR-Richtlinie statt. Geleitet wurde er von Frank
Siebens, EBR-Koordinator in der Abteilung Mitbestimmung, und Dr.
Reingard Zimmer vom Trainings- und Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de"
(Foto). Neben Informationen zur neuen Rechtslage und über
relevante Gerichtsurteile stand ein intensiver Austausch über
die
Arbeit in den einzelnen EBR-Gremien im Mittelpunkt. Bestehende
Vereinbarungen wurden im Hinblick auf die Neuerungen der Richtlinie
unter die Lupe genommen und Möglichkeiten der Neuverhandlung
aufgezeigt. Beispiele von "best practice“ sowie Tipps zur
Verbesserung der eigenen Arbeit rundeten das Angebot ab.
Konferenz
zur neuen
EBR-Richtlinie in Belgien
Auch
in Lüttich fand eine Konferenz zur neuen EBR-Richtlinie statt,
die vom Trainings- und Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" gemeinsam
mit der belgischen Stiftung FAR und dem Gewerkschaftsbund FGTB
initiiert worden war. Etwa 40 Arbeitnehmervertreter, darunter viele
Betriebsräte aus multinationalen Unternehmen Walloniens,
konnten sich am 22. und 23. Juni 2009 dort aus erster Hand informieren.
Die Präsentationen der Referenten stehen im Internet zum
Download zur Verfügung.
Inhouse-Veranstaltungen zur
neuen EBR-Richtlinie
Am
9. und 10. Juni 2009 kam der Europäische Betriebsrat von
Shell zu seiner halbjährlichen Plenartagung in
Warschau zusammen. Gemeinsam mit Dr. Werner Altmeyer vom Trainings- und
Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" überlegten die
Delegierten, wie die ausgeprägten EBR-Aktivitäten des
Mineralölkonzerns in die vorhandene EBR-Vereinbarung
integriert und der neuen EBR-Richtlinie ausreichend Rechnung getragen
werden kann. Shell verfügt seit 1996 über einen EBR.
Auch
die Mitglieder des Europäischen
Forums von GlaxoSmithKline ließen sich in
ihrer Plenarsitzung vom 17. bis 19. Juni 2009 am Sitz des
Pharmakonzerns in London von Dr. Werner Altmeyer über die neue
Rechtslage informieren. Diskutiert wurden Schlüsselaspekte,
die zu einem Upgrade der Vereinbarung notwendig erscheinen. Das
"European Employee Consultation Forum" war 2001 gebildet worden. In den
beiden Vorgängerfirmen hatte es zuvor ab 1997/98
Europäische Foren gegeben.
Workshop zur Neuverhandlung von
EBR-Vereinbarungen
Viele Arbeitnehmervertreter bereiten sich
derzeit auf die Neuverhandlung ihrer EBR-Vereinbarung vor und
möchten sich gerne mit Fachleuten und Kollegen aus anderen
Unternehmen austauschen. Aus diesem Grund bieten wir vom 12. bis 14.
Oktober 2009 einen Workshop im Schloßhotel Montabaur an, um
die anstehenden Kernpunkte im Detail zu diskutieren. Hauptreferent ist Prof.
Dr. Wolfgang Däubler. Deutsche
Betriebsratsmitglieder können nach § 37 Abs. 6 des
Betriebsverfassungsgesetzes teilnehmen.
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3. EBR-Vereinbarungen
werden aktualisiert
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Französischer
Energiekonzern jetzt in der EBR-Spitzengruppe
Am 6. Mai 2009 wurde in Paris
eine EBR-Vereinbarung zwischen den 34 Mitgliedern des Besonderen
Verhandlungsgremiums (BVG) und der zentralen Leitung von Gaz de Franze
Suez unterzeichnet. Sie spiegelt die langjährigen Erfahrungen
der beiden Europäischen Betriebsräte wider und ist
europaweit ein Meilenstein, insbesondere hinsichtlich der
Unterrichtungs- und Anhörungsrechte.
Die 65 EBR-Mitglieder des im
Juli 2008 nach einer umstrittenen Fusion entstandenen Unternehmens
kommen zweimal jährlich zusammen, die 14 Mitglieder des
geschäftsführenden Ausschusses tagen monatlich. Sie
vertreten 200.000 Arbeitnehmer in den Sparten Energie, Wasser,
Abfallbeseitigung und energienahe Dienstleistungen in 21
Ländern.
Für drei Sparten gibt es Arbeitsgruppen innerhalb des EBR, die
jeweils zweimal jährlich tagen. Die Arbeitnehmervertreter
können auch Arbeitsgruppen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz
und
weiteren Themen bilden. Jedes
EBR-Mitglied hat Anspruch auf fünf Schulungstage pro Jahr und
ein Zutrittsrecht zu allen Standorten in Europa, pro Jahr sind
insgesamt 35 Werksbesuche erlaubt. Der spanische Wasserkonzern Agbar ist durch
Beobachter vertreten. Bei Agbar wird derzeit noch über die
Bildung eines eigenständigen EBR verhandelt (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2007).
Die außerordentlich weitreichenden
EBR-Rechte sind nur durch die Vorgeschichte zu erklären. Der
Europäische Betriebsrat von Gaz de France hatte die Fusion
nämlich durch ein Gerichtsverfahren für anderthalb
Jahre blockiert und in dieser Zeit einen transnationalen
Interessenausgleich durchgesetzt (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2008).
Fährgesellschaft integriert
neue EBR-Richtlinie
Für die Reederei Stena Line wurde am
12. Mai 2009 am Unternehmenssitz in Göteborg eine
aktualisierte EBR-Vereinbarung nach schwedischem Recht unterzeichnet.
Die Definition von Unterrichtung und Anhörung orientiert sich
wörtlich an der neuen EBR-Richtlinie. Wenn EBR-Mitglieder
gegen das Vertraulichkeitsgebot verstoßen, haben sie
zukünftig erst nach Rücksprache mit dem EBR mit
Konsequenzen zu rechnen. Zuvor konnte der Arbeitgeber darüber
alleine entscheiden. Die Größe des 1996
gegründeten EBR bleibt unverändert bei 15 Delegierten
aus acht Ländern. Das Unternehmen betreibt
Fährverbindungen auf Nord- und Ostsee sowie in der Irischen
See.
Neue EBR-Vereinbarung von Protesten
überschattet
Am 20. Mai 2009 fand in Paris die
"Zusammenkunft zum europäischen Sozialdialog von Saint-Gobain"
statt, so der Name des 1988 gegründeten EBR. Das Unternehmen
stellt Glas und Baustoffe her und gehört zu den zehn
größten Industriekonzernen in Frankreich. Die neue
Vereinbarung übernimmt die Definition von Unterrichtung und
Anhörung aus der neuen EBR-Richtlinie und verbessert die
Arbeitsbedingungen des engeren Ausschusses. Es handelt sich um die
siebte Ergänzung des immer noch gültigen Textes aus
dem Jahre 1992. Während drinnen die EBR-Vereinbarung
aktualisiert wurde, gab es vor dem Tagungsgebäude
gewerkschaftliche Proteste gegen die Stellenstreichungen in mehreren
Ländern.
Französischer
Versicherungskonzern schreibt EBR-Rechtsgeschichte
Am 29. Juni 2009 wurde erstmals in der
Geschichte der Europäischen Betriebsräte eine
EBR-Vereinbarung nicht mehr nach nationalem, sondern nach EU-Recht
geschlossen (auf dem Foto die Unterzeichnung in Paris).
Während für Streitigkeiten aus der EBR-Vereinbarung
des Versicherungskonzerns Axa bisher die französischen
Arbeitsgerichte zuständig waren, sind es mit Inkrafttreten der
neuen EBR-Vereinbarung am 1. Dezember 2009 die europäischen
Institutionen und damit auch der Europäische Gerichtshof in
Luxemburg. Dieser Schritt stellt eine völlig neue
Qualität in der EBR-Rechtsgeschichte dar und wird sicher
Vorbild für viele andere Unternehmen sein.
Auf diesem Wege können rechtliche
Unsicherheiten bei der Durchsetzung der Ansprüche auf
Unterrichtung und Anhörung, wie sie in manchen
Ländern (z. B. in Großbritannien oder Deutschland)
bestehen, zukünftig europaweit einheitlicher gelöst
werden. Ein Großteil der bisher ergangenen Urteile in
EBR-Fragen wurde von französischen Gerichten gefällt,
sie haben formal nur Gültigkeit in Frankreich. Der
Europäische Gerichtshof wurde nur im Vorfeld der
EBR-Gründung in drei Fällen eingeschaltet, aber noch
nie bei der Durchsetzung der Rechte eines bereits bestehenden EBR.
Die
Inhalte der neuen Vereinbarung
Der 1996 gegründete EBR orientiert
sich zukünftig an den Regeln der neuen EBR-Richtlinie. Er wird
auf 50 Mitglieder aus 18 Ländern verkleinert, die sich zweimal
jährlich treffen (darunter 14 Sitze für Frankreich,
zehn für Großbritannien, sieben für
Deutschland) und einen Schulungsanspruch von einem Tag pro Jahr haben.
Er verliert die zusätzlichen zehn Mandate, die nach dem
Aufkauf für die schweizerische Versicherung Winterthur
reserviert waren (siehe Bericht in den
EBR-News 3/2006).
Nach
französischen Gepflogenheiten übt der
Vorstandsvorsitzende von Axa den EBR-Vorsitz aus, auch der
stellvertretende Vorsitz liegt beim Arbeitgeber. Dem
geschäftsführenden Ausschuß
gehören neben diesen beiden Spitzenmanagern zehn
Arbeitnehmervertreter an, davon kommen fünf nicht aus
Frankreich. Sie treffen sich monatlich. Der EBR verfügt
über ein eigenes Budget von 90.000 € pro Jahr.
Bestandteil der neuen EBR-Vereinbarung sind auch die
Grundsätze zum sozialen Dialog bei Umstrukturierungen, die im
April 2005 zwischen EBR und zentraler Leitung vereinbart wurden (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2005). Die folgenden Texte sind nur in englischer
Spache verfügbar:
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4. Aktuelle
Gerichtsurteile
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Continental-Betriebsrat verliert Rechtsstreit wegen
unklarer EBR-Vereinbarung
Am 21. April 2009 entschied das Landgericht
Saargemünd in Lothringen (Foto), daß die
Schließung des Continental-Reifenwerks Clairoix in der
Picardie mit über 1.100 Beschäftigen
rechtmäßig ist. Nach Auffassung des Gerichts hat die
zentrale Leitung in Hannover weder französisches Arbeitsrecht
noch die EBR-Vereinbarung verletzt. Der Reifenhersteller hatte 1992 als
eines der ersten deutschen Unternehmen ein Euro-Forum gebildet. Nach
der Übernahme durch das Metallunternehmen Schaeffler konnten
die Gewerkschaften IG BCE und IG Metall im August 2008 eine
Standortsicherung bis 2014 aushandeln (siehe Bericht in den
EBR-News 3/2008), gegen die in mehreren Ländern
verstoßen wird.
Der
französische Gesamtbetriebsrat beklagte, daß die
Entscheidung zur Werksschließung am 11. März 2009
einseitig verkündet wurde, ohne daß ein
Anhörungsverfahren hierauf noch Einfluß nehmen
konnte. Die zentrale Leitung argumentierte vor Gericht, ihre
Pläne seien von der Presse falsch interpretiert worden und es
gebe keine Verpflichtung, den EBR vor den französischen
Betriebsräten zu beteiligen. Der Richter stellte fest,
daß alle vorgeschriebenen Anhörungsverfahren in Gang
seien und die Werksschließung deshalb nicht gestoppt werden
könne. Entscheidende Frage war die Reihenfolge der
Anhörung: steht der Europäische oder der nationale
Betriebsrat bei transnationalen Fragen an erster Stelle? Die
EBR-Vereinbarung von Continental macht dazu keine klare Aussage, daher
fehlte den Klägern das entscheidende Argument. Das Urteil
unterstreicht die Bedeutung einer gut formulierten EBR-Vereinbarung.
Nach der Urteilsverkündung kam es zu Ausschreitungen.
Zwei
Tage später, am
23. April 2009, fand eine vom Europäischen Betriebsrat
organisierte deutsch-französische Demonstration in Hannover
vor der Hauptversammlung des Unternehmens statt.
EBR-Präsidium tagte in aufgeheizter
Atmosphäre in Frankreich
Während am 6. Mai 2009 das
Präsidium des EBR in Saargemünd tagte, besetzten
französische Arbeiter das Werk. Der Europäische
Betriebsrat versuchte zu vermitteln, reagierte "besorgt" auf die
Ereignisse und zeigte sich befremdet, als das Management "Hals
über Kopf das Werk verläßt". Für
die zentrale Leitung, die einen sozialpartnerschaftlichen Umgang mit
deutschen Betriebsräten und die gesetzliche Friedenspflicht
gewohnt ist, war der Boden in Frankreich wohl zu heiß
geworden. Sie flüchteten über die wenige Kilometer
entfernte Grenze auf sicheres deutsches Betriebsverfassungsgebiet.
Eine
Sitzung des französischen Gesamtbetriebsrates von Continental,
der ursprünglich in Reims in der Champagne tagen sollte, wurde
kurzfristig vom Arbeitgeber nach Nizza verlegt. Die Stimmung an der
französischen Riviera war weniger gereizt als in dem durch
Proteste aufgewühlten Nordfrankreich.
Auch
die Sitzung des
Betriebsrates im Werk Clairoix machte dem Arbeitgeber Sorgen, denn als
Vorsitzender muß er laut Gesetz einmal monatlich hierzu
einladen und persönlich Rede und Antwort stehen. Angesichts
drohender Proteste durch die aufgebrachte Belegschaft fragte die
Werksleitung beim französischen Arbeitsministerium an, ob die
Sitzung als Videokonferenz stattfinden könne. Am 6. Juni 2009
konnte schließlich unter Vermittlung der
französischen Regierung ein Sozialplan für das Werk
Clairoix geschlossen werden, der eine Abfindung von 50.000 €
pro Person vorsieht.
Radikalisierung in Frankreich auch in anderen
Unternehmen
Die
Belegschaft einer seit 1520 existierenden Papierfabrik in der Provence
wurde am 17. April 2009 vom europäischen
Geschäftsführer des US-Konzerns Schweitzer-Mauduit
über die bevorstehende Schließung informiert - aus
Angst vor Entführung per Videokonferenz aus dem nahen Avignon.
Der örtliche Betriebsrat des US-Baumaschinenherstellers
Caterpillar in den französischen Alpen weigerte sich, an einer
Videokonferenz teilzunehmen, obwohl das Arbeitsgericht Graswalde dies
am 27. April 2009 ermöglicht hatte. Die aufgebrachte
Belegschaft nahm die Geschäftsführer als Geiseln. Am
Ende zahlte Caterpillar den Lohn für drei Streiktage, an denen
die Manager gefangen gehalten waren.
Streikrecht als Teil der
Koalitionsfreiheit gestärkt
Der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg entschied am 21. April 2009 über eine
Klage aus der Türkei. Das Urteil definiert das Recht auf
Tarifverhandlungen und das Streikrecht als integralen Teil der
Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Entscheidung hat
nicht nur Auswirkungen auf das EU-Beitrittsland am Bosporus, sondern
auf alle EU-Länder (siehe Länderbericht
Türkei in den EBR-News 2/2007).
Während
der
Europäische Gerichtshof in Luxemburg mehrfach Streikrecht und
Niederlassungsfreiheit gegeneinander auszuspielen versuchte und die
Koalitionsfreiheit damit teilweise schwächte (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2007), gilt das neue Urteil aus
Straßburg als Erfolg der Gewerkschaften. In Zukunft
zählt das Streikrecht zu den Menschenrechten, nicht nur
gegenüber einem repressiven Staatsapparat in der
Türkei, sondern auch in EU-Ländern mit allzu
wirtschaftsliberaler Ausrichtung.
Arbeitsgericht
Hamburg
bestätigt Anspruch auf EBR-Schulung
Erstmals
hat ein deutsches Arbeitsgericht den Schulungsanspruch von
Betriebsräten zum Thema EBR bestätigt. Am 13. Mai
2009 entschied das Arbeitsgericht Hamburg, daß der
Betriebsrat der Buchhandelskette Stilke sich vom Trainings- und
Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" schulen lassen kann. Er verlangt
seit Jahren von der zentralen Leitung in der Schweiz vergeblich die
korrekte Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2008).
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5.
Gründung von Europäischen Betriebsräten
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Geschäftskundensparte
von Verizon mit eigenem EBR
Verizon Business, eine Tochter der
US-Telefongesellschaft Verizon, bietet für
Geschäftskunden und Behörden
Kommunikationsdienstleistungen an und beschäftigt in Europa
4.700 Menschen in 20 Ländern, davon fast die Hälfte
in Großbritannien. Nach Unterzeichnung einer EBR-Vereinbarung
auf der Grundlage britischen Rechts zwischen der zentralen Leitung und
den 15 Mitgliedern des Besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) fand die
konstituierende Sitzung des Europäischen Betriebsrates vom 17.
bis 19. März 2009 in Reading bei London statt. Er besteht aus
gewählten Arbeitnehmervertretern aus EU-Ländern,
Norwegen und der Schweiz, Managementvertreter gehören ihm
nicht an. Geleitet wird er von einem
geschäftsführenden Ausschuß aus drei
Mitgliedern. Die Initiative zur EBR-Gründung ging von den
Betriebsräten in Frankreich und den Niederlanden aus.
Hersteller von
Getränkeautomaten gründet EBR
Am 8. April 2009 wurde in Bergamo für
die rund 1.800 Beschäftigten von N & W Global Vending
eine EBR-Vereinbarung nach italienischem Recht unterzeichnet. Sie
orientiert sich noch weitgehend an der alten EBR-Richtlinie. Den Ort
der jährlichen Sitzung legt die zentrale Leitung fest, sie
kann um einen Schulungstag verlängert werden. Jedes
EBR-Mitglied erhält neben der Teilnahme an den Sitzungen pro
Quartal acht Stunden Freistellung. Die Produktionsstätten
befinden sich in Italien (vier Sitze im EBR) und Dänemark
(zwei Sitze), Vertriebsniederlassungen gibt es in Österreich,
Frankreich, Deutschland, Polen, Spanien und Großbritannien
(je ein Sitz).
Französischer
Automobilzulieferer gründet EBR kraft Gesetz
Im
Jahre 2003 wurde aus Deutschland und Frankreich der Antrag zur Bildung
eines Europäischen Betriebsrates für die Lisi-Gruppe
gestellt, doch erst im März 2005 kam das BVG zur ersten
Sitzung zusammen. Diese Verzögerung
verstößt gegen die Fristen der EBR-Richtlinie, die
hierfür lediglich sechs Monate vorsieht. Doch das Management
ließ auch die dreijährige Verhandlungsdauer
verstreichen, die 2006 endete. Für den 28. April 2009 wurde
schließlich zur ersten Sitzung eines EBR kraft Gesetz
eingeladen. Der EBR vertritt Arbeitnehmer in Frankreich, Deutschland,
Spanien, Tschechien und Großbritannien, weltweit hat die
Gruppe 3.000 Beschäftigte. Die Situation bei Lisi erinnert
stark an die Situation beim Call-Center-Betreiber Transcom WorldWide
(siehe Bericht
in den EBR-News 2/2008).
Dräger gründet EBR
nach altem Recht
Am
11. Mai 2009 konstituierte sich das Dräger European Forum
(DEF) am
Konzernsitz in Lübeck. 6.000 europäische
Beschäftigte
des deutschen Unternehmens für Medizin- und Sicherheitstechnik
werden künftig von neun Delegierten aus Deutschland, Spanien,
Frankreich, Belgien, Großbritannien, Irland und den
Niederlanden
bei grenzüberschreitenden Fragen vertreten. Der
geschäftsführende Ausschuß besteht aus drei
Mitgliedern. Mit einer jährlichen Sitzung von einem einzigen
Tag
Dauer bleibt die EBR-Vereinbarung weit hinter den heute
üblichen
Regeln vergleichbarer Unternehmen zurück. Zwar sind
Schulungsmaßnahmen möglich, bei der Definition der
Anhörungsrechte läßt sie sich aber noch von
den
unklaren Bestimmungen der alten EBR-Richtlinie leiten.
Die
Verhandlungen hatten im Februar 2007 begonnen (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2007)
Die
Texte von zahlreichen
EBR-Vereinbarungen stehen auf einer Download-Seite
zur Verfügung.
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6.
Europaweite Kollektivverträge
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Belgischer
IT-Dienstleister schließt Restrukturierungsabkommen
Am
9. April 2009 unterzeichnete die zentrale Leitung von Econocom mit dem
Europäischen Betriebsrat sowie belgischen und
französischen
Gewerkschaften ein Abkommen, das eine Verlagerung von
Geschäftsaktivitäten nach Marokko regelt. Bestandteil
sind
die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung wie
auch die
Abfindungen, die von zwei bis zehn Monatsentgelten reichen. Econocom
beschäftigt in den BeNeLux-Ländern, Frankreich,
Deutschland,
Spanien, Italien und im Vereinigten Königreich 2.300
Arbeitnehmer
und hat seit 2007 einen Europäischen Betriebsrat.
Abkommen
zur Gleichbehandlung und Antidiskriminierung
Am 14. Mai 2009 unterzeichnete
der Europäische Betriebsrat der italienischen Bank UniCredit
mit der zentralen Leitung in Mailand das zweite europaweit
gültige Abkommen. Nachdem im Dezember 2008 bereits
Grundsätze für die Aus- und Weiterbildung vereinbart
wurden (siehe Bericht
in den EBR-News 1/2009), beinhaltet das Abkommen jetzt eine
gemeinsame Erklärung zur Gleichbehandlung und zur
Antidiskriminierung. Die Grundsätze sind Ergebnis einer
Arbeitsgruppe aus je zwölf Vertretern der Personalleitung und
des EBR. Die folgenden Texte sind nur in englischer Sprache
verfügbar:
Meilenstein
für die Personalentwicklung in High-Tech-Unternehmen
Am 11. Juni 2009 wurde
für die 56.000 Beschäftigen des
französischen Elektronikkonzern Thales erstmals ein
transnationales Abkommen unterzeichnet. Es erstreckt sich auf elf
europäische Länder und hat die verbesserte berufliche
Entwicklung der Arbeitnehmer zum Ziel. Während in
vergleichbaren Abkommen anderer Unternehmen meist nur allgemeine
Prinzipien definiert sind, hat Thales sich zu konkreten Zielen und
einem Monitoring-Prozeß verpflichtet. Die Unterzeichnung in
Paris erfolgte in Anwesenheit von Jacques Delors, dem ehemaligen
Präsidenten der Europäischen Kommission.
Verhandlungsführer von
Thales war dessen Arbeitsdirektor Yves Barou (Foto links), der
seinerzeit im französischen Arbeitsministerium für
das Gesetz zur Einführung der 35-Stunden-Woche verantwortlich
war. Auf Arbeitnehmerseite unterzeichnetete der
stellvertretende Generalsekretär des Europäischen
Metallgewerkschaftsbundes, Bart Samyn (Foto rechts). Nach
französischen Gepflogenheiten ist für
Verträge immer die Gewerkschaft zuständig,
während der Betriebsrat sich auf Unterrichtung und
Anhörung beschränkt. Thales hatte im Dezember 2007
auch eine exzellente EBR-Vereinbarung abgeschlossen (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2008).
Französische
Unternehmen geben die Richtung vor
Das Abkommen von Thales
bestätigt die Tendenz, wonach solche transnationalen
Vereinbarungen in der Praxis besonders häufig von
französischen Konzernen geschlossen werden. Diese
können daher eine europäische Entwicklung bereits in
ihrer Frühphase maßgeblich prägen - so wie
bereits in den Jahren vor 1994, der Verabschiedung der EBR-Richtlinie.
Die heutige Philosophie von Information und Konsultation im
Europäischen Betriebsrat ist daher stark von der
französischen Betriebsverfassung inspiriert. Deutsche und
insbesondere britische Unternehmen laufen der Entwicklung eher
hinterher. Weitere herausragende französische Beispiele
für transnationale Abkommen sind:
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7.
Weltweite Rahmenabkommen
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Norwegische
Ingenieurgesellschaft gründet Weltbetriebsrat
Seit
dem 1. Januar 2009 gibt
es für die 9.000 Beschäftigten von Det Norske Veritas
(DNV) in 100 Ländern ein "Global Employee Forum". DNV ist in
den Bereichen Schiffsklassifizierung und Risikomanagment, z. B.
für die Energiewirtschaft, tätig. Das Unternehmen
verfügt nicht nur über einen Europäischen
Betriebsrat, sondern hat auch vergleichbare Arbeitnehmerforen
für Asien und Amerika gegründet. Der Weltbetriebsrat
stellt jetzt die Verbindung her. Er besteht aus sieben Mitgliedern:
zwei norwegische Vertreter, zwei weitere vom EBR entstandte
europäische Vertreter, zwei asiatische Delegierte und einer
für Amerika und Afrika.
Italienischer Stromversorger
unterzeichnet zwei Abkommen
Am 27. April 2009 unterzeichneten die
italienischen Gewerkschaften in Rom mit dem Energieunternehmen Enel ein
Abkommen über die soziale Unternehmensverantwortung (CSR) und
über eine Beobachtungsstelle zur
Beschäftigungspolitik. Bei der Umsetzung des CSR-Abkommens
soll der Europäische Betriebsrat, der erst im Dezember 2008
gegründet worden war (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2008), eine wichtige Rolle spielen. Das Abkommen
sieht ein jährliches Monitoring-Treffen vor.
Gewerkschaften bei Fiat
gründen globales Netzwerk
Angesichts bevorstehender
Restrukturierungen in weltweitem Maßstab trafen sich 30
Gewerkschaftsvertreter aus Fiat-Fabriken in der ganzen Welt (darunter
aus Polen, Brasilien, Spanien, Serbien und der Türkei) vom 17.
bis 19. Juni 2009 am Hauptsitz des Konzerns in Turin, um eine
gemeinsame Strategie abzusprechen. Oberste Priorität hat
für sie der Abschluß eines internationalen
Rahmenabkommens mit der zentralen Leitung und die Vermeidung
betriebsbedingter Kündigungen.
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8. SE-Vereinbarungen
vergrößern den Aufsichtsrat
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Erstmals
firmiert ein Energieunternehmen als SE
Seit
dem 29. Mai 2009 firmiert
E.ON Energy Trading in Düsseldorf als Europäische
Gesellschaft (SE). Das Unternehmen steuert mit knapp 900
Beschäftigten den Strom- und Gashandel des gesamten
E.ON-Konzerns in 45 Ländern weltweit.
Nach
mehrmonatigen Verhandlungen wurde am 16. April 2009 eine
Mitbestimmungsvereinbarung unterzeichnet, die neben der Bildung eines
europaweiten SE-Betriebsrates auch die Besetzung des Aufsichtsrates
regelt. Der SE-Betriebsrat tagt zweimal jährlich und besteht
aus
13 Mitgliedern, davon entfallen sechs Sitze auf Deutschland, drei auf
Großbritannien und je einer auf Bulgarien, Schweden, Polen
und
die Niederlande. Ihm steht ein Initiativrecht zum Abschluß
transnationaler Vereinbarungen in Themenfeldern wie Weiterbildung,
Chancengleichheit oder Arbeits- und Gesundheitsschutz zu. Der
Aufsichtsrat wurde entgegen dem Trend bei SE-Umwandlungen
vergrößert: zwar bleibt es bei einer
Drittelbeteiligung,
aber zukünftig sind vier Sitze für die
Arbeitnehmerseite
reserviert. Davon entfallen zwei auf Deutschland und je einer auf
Großbritannien und Schweden.
Bayerisches
Familienunternehmen setzt Maßstäbe für die
Metallindustrie
Am
8. Juni 2009 wurde in
Marktheidenfeld für die 2.600 Beschäftigen von Warema
nach nur zweimonatigen, konstruktiven Verhandlungen eine Vereinbarung
zur Mitbestimmung in der zukünftigen SE unterzeichnet (Foto).
Das Familienunternehmen ist als Marktführer für
technische Sonnenschutzprodukte in fünf europäischen
Ländern vertreten, weitere Auslandsniederlassungen sollen nach
der SE-Umwandlung folgen.
Zwar
bleibt es bei einer Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im
Aufsichtsrat, aber die Anzahl der Sitze wird erhöht. Zum
ersten Mal ermöglicht eine SE-Vereinbarung deren Urwahl durch
die gesamte europäische Belegschaft. Der neue
Europa-Betriebsrat
verfügt über Rechte, die weit über die
gesetzlichen Auffangregelungen hinausgehen. Zudem wird einmal
jährlich in allen Niederlassungen, in denen es noch keinen
Betriebsrat gibt, eine Belegschaftsversammlung durchgeführt.
Der Europa-Betriebsrat hat ein Initiativrecht für
transnationale Vereinbarungen und kann bei Streitigkeiten eine
Schlichtungsstelle anrufen, die der deutschen Einigungsstelle
nachgebildet ist.
Als
Sachverständige waren Prof. Dr. Ulrich Zachert und Dr. Werner
Altmeyer vom Trainings- und Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" in
Abstimmung mit der IG Metall an den Verhandlungen beteiligt.
Checkliste zur Verhandlung von SE-Vereinbarungen
In
einem Beitrag für
die Zeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb" vom Mai 2009, der von Prof.
Dr. Ulrich Zachert und Dr. Werner Altmeyer vom Trainings- und
Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" mitverfaßt wurde, kann
der Ablauf der Verhandlungen über die SE-Vereinbarung beim
Klebstoffhersteller tesa nachvollzogen werden (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2008). Der Beitrag enthält
darüber hinaus eine Checkliste zur SE-Umwandlung als wertvolle
Orientierung für Besondere Verhandlungsgremien.
Erster
Aufsichtsrat auf der Grundlage der Fusionsrichtlinie
Am 22. April 2009 wurde der
Aufsichtsrat der Münchener Rück auf einer neuen
Grundlage zusammengestellt. Für die Versicherungsgesellschaft
gilt das deutsche Mitbestimmungsgesetz nicht mehr, da sie am 12.
Dezember 2008 eine betriebliche Vereinbarung entsprechend der
EU-Fusionsrichtlinie traf (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2006). Die Münchener Rück ist
das erste Unternehmen in Europa, das diesen Weg gewählt hat.
Das
Verfahren ist
ähnlich der Umwandlung in eine Europäische
Gesellschaft (SE): zunächst wird ein Besonderes
Verhandlungsgremium (BVG) gebildet, das innerhalb von sechs Monaten
Regeln über die Mitbestimmung mit der zentralen Leitung
aushandelt. Der Unterschied zur SE besteht darin, daß
ausschließlich über den Aufsichtsrat verhandelt
wird. Für den
EBR gilt das normale Verfahren nach EBR-Richtlinie. Deshalb kann es
zwei parallel arbeitende Besondere Verhandlungsgremien geben: eines
für den Aufsichtsrat und eines für den
Europäischen Betriebsrat. Bei der Münchener
Rück besteht der Aufsichtsrat wie bisher aus 20 Mitgliedern,
davon zehn Vertreter der Arbeitnehmer (einer aus Spanien, alle anderen
aus Deutschland). Einen EBR gibt es seit dem Jahr 2001 lediglich
für die Tochtergesellschaft Ergo, nicht aber für die
Holding.
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9. Neue Daten zur
Mitbestimmung
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Index ermöglicht
Ländervergleich zum Niveau der Mitbestimmung
Welches Land in Europa hat ein
vergleichsweise hohes oder niedriges Niveau von Mitbestimmung? Diese
Frage haben Wissenschaftler des Europäischen
Gewerkschaftsinstituts (ETUI) in Brüssel mit einem "European
Participation Index" (EPI) beantwortet, der am 19. März 2009
der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Klassifizierung
erfolgt anhand eines Punktesystems. Danach finden sich Länder
mit starker Mitbestimmung vorwiegend im Norden und im Zentrum der EU,
darunter Skandinavien, die Niederlande, Deutschland,
Österreich und Frankreich. Den europäischen
Spitzenwert belegt Schweden (siehe hierzu den Länderbericht
in den EBR-News 4/2005). Deutschland erreicht nur Platz 7
aufgrund sinkender Tarifbindung und Mitgliederzahlen der Gewerkschaften.
Zu
den Ländern mit
schwacher Mitbestimmung gehören viele
Mittelmeerländer, der angelsächsische Kulturkreis und
praktisch ganz Osteuropa. Am Ende der Skala rangiert Litauen. Jede
dieser beiden Ländergruppen repräsentiert etwa die
Hälfte des wirtschaftlichen Gewichts der EU. Der Index liefert
indirekt auch einen Hinweis darauf, in welchen Ländern
tendenziell mit einer stärkeren oder eher schwachen
Unterstützung für die Arbeit eines
Europäischen Betriebsrates zu rechnen ist.
Alarmierend
schlechte
Werte für Großbritannien
Das
geringste Niveau von Mitbestimmung in Westeuropa verzeichnet das
Vereinigte Königreich, nur in Bulgarien und den drei
baltischen
Staaten ist die Beteiligung der Arbeitnehmer heute schwächer
ausgeprägt als im Mutterland des Manchester-Kapitalismus.
Britische Arbeitnehmer sind in weit stärkerem Maße
der
Willkür von Managern ausgesetzt als es für die EU
typisch und
akzeptabel ist. Da sich viele Länder in Mittel- und Osteuropa
allmählich dem EU-Durchschnitt annähern, ist es nur
eine
Frage der Zeit, bis Großbritannien den letzten Platz in ganz
Europa belegen wird.
Diese
Situation lädt Unternehmen aus Ländern mit starker
Mitbestimmung geradezu ein, britische Arbeitnehmer schlechter zu
behandeln. Ein Beispiel ist das deutsche Verlagshaus Holtzbrinck:
dessen Tochtergesellschaft Macmillan mußte 2007 als erstes
Unternehmen in Großbritannien eine Strafe wegen
Verstoßes
gegen Minimalstandards zur Respektierung von Arbeiternehmervertretungen
zahlen (siehe Bericht
in den EBR-News 2/2007). Es kann auch nicht
überraschen, daß solche Rahmenbedingungen die Arbeit
britischer Euro-Betriebsräte erschweren. Sie haben oft
schlechtere Bedingungen als Gremien in Kontinentaleuropa (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2008). Folgende Dokumente liegen nur in englischer Sprache
vor:
Aktuelle Zahlen zur
Mitbestimmung in deutschen Aufsichtsräten
Am
17. Juni 2009 legte die Hans-Böckler-Stiftung neue Statistiken
über die deutsche Mitbestimmung vor. Danach werden knapp 700
Unternehmen durch einen Aufsichtsrat überwacht, der je zur
Hälfte aus Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer
zusammengesetzt ist. Dies gilt ebenso für sieben Unternehmen
in der Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE).
Unternehmen mit weniger als 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland sind in
dieser Statistik nicht enthalten. Sie verfügen über
einen Aufsichtsrat, der sich nur zu einem Drittel aus Arbeitnehmern
zusammensetzt.
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10.
Interessante Webseiten
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Blog für bedrohte
IT-Belegschaft
Seit der Fusion der
IT-Dienstleister Electronic Data Systems (EDS) und Hewlett-Packard (HP)
im August 2008 kämpft die Belegschaft europaweit gegen den
geplanten Arbeitsplatzabbau (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2009). Im April 2009 haben die
europäischen Gewerkschaftsföderationen UNI und EMB
einen Blog ins Internet gestellt, um über aktuelle
Entwicklungen zu informieren. Für EDS Deutschland konnte am 3.
Juli 2009 eine Lösung zur Begrenzung von Entlassungen erzielt
werden.
Neue EBR-Plattform aus Italien
Mit
finanzieller Unterstützung der EU haben Gewerkschaften aus
Italien, Frankreich, Spanien, Rumänien und Bulgarien eine
Plattform für Europäische Betriebsräte ins
Internet gestellt, die "EBR-Brücke" (Pont des CEE). Sie
liefert in drei Sprachen Hintergrundinformationen zum Download.
Polnische
EBR-Webseite
Der
Gewerkschaftsbund
Solidarność hat eine Webseite für Europäische
Betriebsräte in polnischer Sprache ins Internet gestellt.
Neben Konferenzberichten und einem Downloadbereich mit
EBR-Vereinbarungen gibt es auch übersetzte Meldungen aus den
EBR-News.
Spanische Konzerne in
Lateinamerika
Am
10. und 11. März 2009 traf sich in Panamá die vom
spanischen Gewerkschaftsbund UGT unterstützte Arbeitsgruppe
zur Beobachtung spanischer Konzerne in Lateinamerika. Die
Aktivitäten und Dokumente sind auf einer neuen Webseite
abrufbar, die sich vor allem mit Banken, Unternehmen der
Telekommunikation und der Energiewirtschaft beschäftigt.
Zahlreiche
weitere interessante
Links haben wir in einer Linksammlung
zusammengestellt.
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Arbeitsbeziehungen
und sozialer Dialog im Web 2.0
Seit Mai 2009 liegt die
deutsche Übersetzung einer Studie über die Chancen
und Risiken des Web 2.0 auf die Gewerkschaftsarbeit vor.
Zunächst werden beispielhaft die Proteste des italienischen
Betriebsrates von IBM im Second Life im Jahr 2007 dargestellt (siehe Bericht in den
EBR-News 3/2007), danach einige Werkzeuge des Web 2.0
erläutert und über positive Erfahrungen von
Gewerkschaften weltweit berichtet. Auch die Nachteile sowie
Auswirkungen am Arbeitsplatz sind Teil der Studie, die in vier Sprachen
verfügbar ist.
Bestandsaufnahme über
transnationale Rahmenabkommen
Im Juni 2009 ist ein neuer
Bericht der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens-
und Arbeitsbedingungen in Dublin erschienen, der sich mit
transnationalen Rahmenabkommen auf globaler und europäischer
Ebene beschäftigt. Die Autoren, zu denen auch Dr. Reingard
Zimmer vom Trainings- und Beratungsnetz "euro-beriebsrat.de"
gehören, untersuchen die Inhalte solcher Vereinbarungen und
die Rolle Europäischer Betriebsräte. Der Bericht
liegt nur in englischer Sprache vor.
Implementierung von
Compliance- und Ethikrichtlinien
Viele Konzerne mit Stammsitz in den
USA wollen ihre Ethikrichtlinie auch in Europa anwenden (siehe Bericht in
den EBR-News 1/2009).
Derartige Verhaltenskodizes beschränken sich oft nicht auf die
Art
der Erbringung der Arbeitsleistung, sondern enthalten Verpflichtungen
für das Verhalten der Beschäftigten, die weit in das
Privatleben hineinreichen. Das Beispiel Wal-Mart verdeutlichte dies vor
einigen Jahren. Europäische Betriebsräte, die sich
mit dieser
Thematik beschäftigen wollen, bietet das im Juni 2009
erschienene
Buch umfassendes Hintergrundwissen über die Vereinbarkeit
derartiger ethischer Leitsätze mit dem deutschen Arbeitsrecht.
Positive und negative
Auswirkungen von Europäischen Betriebsräten
Dieses im Juni 2009 vom
Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI) in Brüssel
publizierte Arbeitspapier geht einer bisher noch wenig untersuchten
Frage nach: welchen Wohlfahrtseffekt hat die Existenz eines
Europäischen Betriebsrates auf verschiedene Gruppen von
Stakeholdern im Unternehmen. Für Anteilseigner und
Gläubiger kann die Studie keine signifikanten Nachteile
feststellen, während der Effekt für Arbeitnehmer und
Manager eindeutig positiv ist. Das Arbeitspapier liegt nur in
englischer Sprache vor.
Weitere Fachliteratur haben wir
auf einer Sonderseite
zusammengestellt.
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12. Trainings- und
Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de":
Weitere Beispiele aus
unserer
Arbeit
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Interkulturelles
Training für Energiekonzern
Vom
23. bis 25. März 2009 kam in Elewijt bei Brüssel der
Europäische Betriebsrat des französischen
Nuklearkonzerns Areva zusammen. Im Mittelpunkt der ersten Plenarsitzung
nach Abschluss des Projekts ODEO ("Open Dialogue trough Equal
Opportunities"), das sich insbesondere der Gleichbehandlung von Mann
und Frau und einer besseren Integration von Behinderten gewidmet hatte
(siehe Bericht
in den EBR-News 1/2009), stand eine interkulturelle
Sensibilisierung der EBR-Vertreter mit Unterstützung des
Trainings- und Beratungsnetzes "euro-betriebsrat.de".
EBR-Schulungen
in französischen Finanzinstituten
Am 26. und 27. März
2009 traf sich der neugegründete Europäische
Betriebsrat von Crédit Agricole in
Paris zu einer ersten Schulung, die vom Trainings- und Beratungsnetz
"euro-betriebsrat.de" mitgestaltet wurde. Crédit Agricole
hatte erst im Januar 2008 als eine der letzten französischen
Großbanken eine EBR-Vereinbarung unterzeichnet (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2008). Drei Trainer standen für die
insgesamt 54 Arbeitnehmervertreter aus 18 EU-Ländern, in denen
die Finanzgruppe Niederlassungen unterhält, zur
Verfügung.
Auch die französische
Investmentbank Caceis, die 2006 durch die
Verschmelzung zweier Fondsgesellschaften entstanden ist und eine
führende Rolle in Frankreich spielt, verfügt erst
seit kurzer Zeit über einen Europäischen Betriebsrat.
Dieser wurde mit Hilfe des Trainings- und Beratungsnetzes
"euro-betriebsrat.de" am 29. und 30. April 2009 in Paris (auf dem Foto
der historische Firmensitz am Ufer der Seine) auf seine Aufgabe
vorbereitet. Neben Frankreich sind sechs weitere europäische
Länder in dem Gremium vertreten, wobei die meisten
ausländischen Delegierten aus Luxemburg kommen.
Konstituierende
EBR-Sitzung bei Automobilzulieferer
Für das
US-amerikanische Unternehmen Wabco wurde im Oktober 2008 eine
EBR-Vereinbarung nach belgischem Recht unterzeichnet (siehe Bericht in den
EBR-News 3/2008). Die Verhandlungen waren notwendig, weil der
Hersteller von Bremssystemen aus dem früheren Firmenverbund
ausgegliedert und an die Börse gebracht worden war. Vom 6. bis
9. April 2009 konstituierte sich in Brüssel mit
Unterstützung durch Dr. Werner Altmeyer vom Trainings- und
Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" der neue EBR. Bereits seit der
erstmaligen EBR-Gründung im Jahre 2001 konnten die
Arbeitnehmervertreter des Vorläuferunternehmens auf diese
Unterstützung zurückgreifen.
ver.di/GPA-Newsletter:
Ausgabe 1/2009
Am 31. März 2009 ist eine weitere Ausgabe des
deutsch-österreichischen EBR-Newsletters von ver.di und GPA
erschienen, der sich vor allem mit der neuen EBR-Richtlinie
beschäftigt.
Weitere
Themen sind die Europäischen Betriebsräte der
Deutschen Post
und von UniCredit, die neue SE-Vereinbarung der Gesellschaft
für
Marktforschung (GfK), ein EBR-Projekt für
Betriebsräte in der
Sicherheitsindustrie sowie Internet- und Literaturtipps. Der Newsletter
wird vom Trainings- und Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de"
mitgestaltet.
Neuer
Kooperationspartner in Paris
Das Institut ASTREES
(Association Travail, Emploi, Europe, Société)
widmet sich europapolitischen Fragen im Bereich der Arbeitsbeziehungen.
Neben Studien, Konferenzen und Publikationen ist eines der Schwerpunkte
von ASTREES die Durchführung von EU-Projekten für
Europäische Betriebsräte und die Schulung von
Arbeitnehmervertretern. Am 17. Juni 2009 legte ASTREES eine neue Studie
vor, die den Umgang Europäischer Betriebsräte mit
Restrukturierungen zum Inhalt hat. Künftig werden ASTREES und
das Trainings- und Beratungsnetz "euro-betriebsrat.de" ihre
Kräfte entlang der deutsch-französischen Achse
stärker bündeln. Folgende Texte sind nur in
französischer Sprache verfügbar:
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