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20.
Oktober 2015
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1.
Neue
Betriebsverfassung in Frankreich und Luxemburg
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Sozialer
Dialog soll modernisiert werden
Am
18. August 2015 ist in Frankreich ein Paket an gesetzlichen
Regelungen in Kraft getreten, das sowohl die Betriebsverfassung als
auch die Mitbestimmung im Aufsichtsrat erheblich verändert.
Das
Gesetz zum sozialen Dialog und zur Beschäftigung, als "loi
Rebsamen" nach dem bis kürzlich amtierenden sozialistischen
Arbeitsminister François Rebsamen (Foto) benannt, zielt auf
die Modernisierung der Sozialbeziehungen.
Die französische Betriebsverfassung sei von komplexen
und starren Regelungen und einer "Kultur des Mißtrauens"
geprägt, so die Meinung der Regierung.
Zunächst
war geplant, die Inhalte des Gesetzes von den Tarifparteien
einvernehmlich aushandeln zu lassen. Dieser Versuch scheiterte jedoch
am 25. Januar 2015. Daraufhin legte
die Regierung einen
eigenen Text vor. Das Gesetz ist ein wichtiger Baustein ihres
Reformprogramms zur Ankurbelung der Wirtschaft und zum Abbau der
Arbeitslosigkeit, die mit fast 11% mehr als doppelt so hoch
ist wie in Deutschland. Schon am 1. Januar 2014 sind
Änderungen am
Konsultationsverfahren der Betriebsräte bei Restrukturierungen
in
Kraft getreten (siehe Bericht
in den EBR-News 1/2014).
Viele Aufsichtsräte
künftig mit Arbeitnehmervertretern
Erst seit Juni 2013
sind Unternehmen in Frankreich gesetzlich verpflichtet,
Arbeitnehmervertreter mit vollem Stimmrecht in den Aufsichts- oder
Verwaltungsrat zu integrieren. Die Schwelle lag aber sehr hoch: die
Mitbestimmung galt nur für Unternehmen ab 5.000
Beschäftigte in Frankreich oder mehr als 10.000
weltweit (siehe Bericht
in den EBR-News 2/2013). Vor 2013 gab es Mitbestimmung nur in
staatlichen oder ehemals staatlichen Unternehmen. Das neue Gesetz senkt
die Schwelle jetzt auf 1.000 Beschäftigte in Frankreich (bzw.
5.000 weltweit). Damit steigt die Zahl der von Mitbestimmung
erfaßten Unternehmen (bisher etwa 200) beträchtlich
an. Auch die Zahl der Arbeitnehmervertreter wird wachsen,
allerdings dürfen diese nicht gleichzeitig ein Mandat im
Betriebsrat ausüben.
Die Strukturen der
Betriebsräte werden reformiert
Bisher gibt es in
französischen Betrieben drei Gremien nebeneinander: die
Personaldelegierten, den Betriebsrat und den
Arbeitssicherheitsausschuß. In Betrieben bis 300
Beschäftigte werden diese drei Instanzen künftig
zusammengelegt, in größeren Betrieben auf
freiwilliger Basis. Auch das Recht des Betriebsrates auf
Anhörung wird vereinfacht. Bisher gibt es
17 Pflichtanhörungen pro Jahr, die sich in 50
verschiedenen gesetzlichen Regelungen finden. Diese sind jetzt im
Arbeitsgesetzbuch in einem eigenen
Kapitel zusammengefaßt und beschränken sich
auf drei Kernbereiche:
- Die
Anhörung zur
strategischen Ausrichtung des Unternehmens
- Die
Anhörung zur
wirtschaftlichen und finanziellen Lage
- Die
Anhörung zu
Sozialpolitik, Arbeitsbedingungen und Beschäftigung
Der Betriebsrat tagt nach wie
vor unter dem Vorsitz des Arbeitgebers. Für
interne Diskussionen, wie sie in einer deutschen
Betriebsratssitzung geführt werden, trifft sich die
Arbeitnehmerseite immer zu Vorbesprechungen. Die Sitzung des
französischen Betriebsrates hat einen stark juristisch
geprägten Charakter. Der Arbeitgeber steht unter Beweiszwang,
ob er eine Anhörung korrekt durchgeführt hat.
Andernfalls können seine Maßnahmen gerichtlich
gestoppt werden. Künftig sind Sitzungen auch als
Videokonferenz möglich und der Arbeitgeber kann sie
aufzeichnen. Dies gilt auch für Gesamt- und
Konzernbetriebsräte sowie für Europäische
Betriebsräte, die französischem Recht unterliegen.
Anhörung im
französischen Sinne beinhaltet immer die genaue
Prüfung der Angelegenheit durch externe
Sachverständige, die der Betriebsrat selbst auswählt.
Erst danach gibt der Betriebsrat seine Stellungnahme ab und beendet die
Anhörung. Von dieser Philosophie ist auch die
Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat geprägt
(siehe Bericht
in den EBR-News 3/2011).
Luxemburg wechselt vom belgischen
zum deutschen Modell
Das Gesetz
vom 23. Juli 2015 über die
Reform des Sozialdialogs innerhalb der Unternehmen bedeutet
für Luxemburg eine Zeitenwende. Am 1. Januar 2016
tritt es in Kraft und führt einen Betriebsrat nach deutschem
Vorbild ein. Der seit 1974 bestehende Betriebsrat nach
belgischem Muster, eine paritätische Kommission aus
Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in Betrieben mit mehr als 150
Beschäftigten, wird abgeschafft. Künftig kann ein
Betriebsrat in jedem Betrieb ab 15 Beschäftigten
gegründet werden. Ursprünglich sollte das Gesetz
schon 2013 in Kraft treten (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2013), es kam jedoch durch eine Regierungskrise zu
Verzögerungen.
Der Betriebsrat
("délégation du personnel") hat das Recht
auf Unterrichtung und Anhörung, dessen Inhalt sich
stark an den Text der neuen EBR-Richtlinie anlehnt,
und in Betrieben mit mehr als 150 Arbeitnehmern
zusätzlich auch Mitbestimmungsrechte bei einzelnen Themen der
Personalpolitik. Es gibt Arbeitssicherheits- und
Gleichstellungsbeauftragte und der Arbeitgeber hat
Sachverständige zu bezahlen, die der Betriebsrat sich
selbst auswählen kann. In Betrieben ab 250
Beschäftigten wird ein Betriebsratsmitglied komplett von der
Arbeit freigestellt, ab 501 Beschäftigte sind es zwei. Einmal
pro Jahr findet während der Arbeitszeit eine
Betriebsversammlung statt. Jedes Betriebsratsmitglied hat Anspruch auf
Bildungsurlaub. Bei Meinungsverschiedenheiten ist eine Einigungsstelle
("commission de médiation") mit einem neutralen Vorsitzenden
vorgesehen.
Der
christliche Gewerkschaftsbund LCGB kritisierte das Gesetz, da
es
den Betriebsräten Aufgaben übertrage, für
die bislang die Gewerkschaftsgliederungen zuständig sind. Der
sozialdemokratische Gewerkschaftsbund OGBL begrüßte
das neue
Gesetz. Negativ äußerte sich der Arbeitgeberverband.
Die
letzten Betriebsratswahlen nach alter Rechtslage fanden im November
2013 statt. Mehr als 50% aller Mandate entfielen auf gewerkschaftsfreie
Kandidaten (siehe Bericht
in den EBR-News 4/2013).
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2.
Tarifsysteme und Arbeitsrecht in weiteren Ländern
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Neuaufbau
des Tarifvertragssystems in Griechenland
Seit
2011 erlebt Griechenland
unter dem Druck der Troika einen Niedergang seines Tarifsystems. Dabei
wurden auch Standards des kollektiven Arbeitsrechts wie das
Günstigkeitsprinzip sowie das Recht der Regierung,
Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu
erklären, komplett abgeschafft.
Flächentarifverträge sind fast nicht mehr zu
finden.
Die
im Januar 2015 erstmals
gewählte Syriza-Regierung erklärte den Wiederaufbau
des griechischen Tarifsystems zu einer ihrer wichtigsten
Prioritäten und legte im April 2015 einen Gesetzentwurf vor,
der jedoch am Widerstand der Geldgeber scheiterte. Von der
öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unbeachtet konnte sie
diese Forderung am Ende dennoch durchsetzen. Im dritten Memorandum mit
den Geldgebern vom August 2015 ist vorgesehen, die Entwicklung des
Tarifvertragssystems unter Einbeziehung unabhängiger Experten
und internationaler Organisationen (darunter
die Internationale Arbeitsorganisation ILO) zu
überprüfen, um auf dieser Grundlage weitere Reformen
durchzuführen, die sich an den "besten Praktiken in der EU"
orientieren sollen. Explizit wurde festgehalten: die einfache
"Rückkehr zu den politischen Vorgaben der Vergangenheit" soll
es nicht geben.
Proteste gegen "neues
Sozialmodell" in Litauen
Am
10. September 2015 protestierten litauische Gewerkschaften vor dem
Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Wilna gegen die von der
sozialdemokratischen Regierung geplante Arbeitsrechtsreform. Sie soll
im Oktober 2015 verabschiedet werden und ist bisher nicht mit den
Tarifparteien abgestimmt. Um das Land
wettbewerbsfähiger zu machen, soll ein neues Sozialmodell
eingeführt und das gesamte Arbeits- und Sozialrecht
modernisiert werden. Die Kündigungsfrist soll nur noch drei
Tage betragen, Abfindungen und Schutzregeln für
Schwangere und Eltern erheblich reduziert und befristete
Arbeitsverträge massiv ausgebaut werden. Für
Gewerkschaftsarbeit sollen künftig restriktive Regeln gelten.
Litauen hat eine Arbeitslosenquote von 9,6% und ist als letztes
der drei baltischen Staaten am 1. Januar 2015 der Eurozone beigetreten
(siehe Bericht
in den EBR-News 3/2014).
Drohender
Abbau des Tarifvertragssystems in Finnland
Am
18. September 2015 fand in
Finnland ein Generalstreik gegen Sozialkürzungen
und Einschränkungen des Tarifvertragssystems statt.
Die seit dem 29. Mai 2015 regierende konservative Koalition mit
Beteiligung
einer rechtspopulistischen Partei will Jahresurlaub
kürzen, Zuschläge für Überstunden
und
Sonntagsarbeit kappen und die Bezahlung von zwei Feiertagen sowie des
ersten Tages einer Krankmeldung generell abschaffen.
Zunächst
wollte
die Regierung einen "Sozialpakt" mit den Tarifparteien
schließen. Nachdem dieser am 21. August
2015 scheiterte, kündigte sie am 9.
September 2015 einseitig Maßnahmen an, um die Arbeitskosten
zu reduzieren. Künftig sollen Tarifverträge nicht
mehr
Mindestbedingungen regeln, sondern das Maximum. Die Gewerkschaften
sehen dies als Angriff auf die Koalitionsfreiheit. Finnland ist seit
Jahren in einer Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit, die derzeit
bei 9,7% liegt.
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3.
Betriebspolitische Konflikte in den Schlagzeilen
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SAS-Flugbegleiter
verklagen schwedische Gewerkschaft
190
Flugbegleiter der skandinavischen Fluggesellschaft SAS reichten am 2.
Juni 2015 beim Arbeitsgericht Stockholm Klage gegen die Gewerkschaft
Unionen ein. Als Teil eines Sanierungsplans hatte Unionen im November
2012
in einem Haustarifvertrag einer Verschlechterung der Altersversorgung
des Kabinenpersonals zugestimmt. Damit gingen große Teile der
bereits in den Jahren zuvor durch Gehaltsverzicht erarbeiteten
Rentenanwartschaften verloren. Nach Meinung der Betroffenen habe die
Gewerkschaft ohne ihre ausdrückliche Zustimmung gehandelt und
damit ihre Kompetenzen überschritten. Sie hätte das
Geld der
Flugbegleiter behandelt, als ob es ihr eigenes wäre. Unionen
argumentiert, ohne diesen Sanierungsplan wäre
SAS zahlungsunfähig geworden und viele
Arbeitsplätze
wären weggefallen.
Ryanair zieht sich aus
Dänemark zurück
Am
1. Juli 2015
urteilte der Arbeitsgerichtshof von Dänemark über die
Zuständigkeit für Tarifverhandlungen am Flughafen
Kopenhagen
im Fall von Ryanair. Die irische Billigfluggesellschaft hatte am 26.
März 2015 ihren Stützpunkt eröffnet
und weigerte
sich, in Tarifverhandlungen mit den dänischen Gewerkschaften
einzutreten. Die Begründung hierfür ist
ähnlich wie
zuvor bereits in anderen Ländern: alle
Arbeitsverträge bei
Ryanair würden dem Recht des Firmensitzes Irland unterliegen.
Diese Haltung hatte im Oktober 2013 in Frankreich beinahe zur
Beschlagnahmung von Flugzeugen durch die Staatsanwaltschaft
geführt (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2013).
Nach
dem Gerichtsurteil rief der dänische Gewerkschaftsbund
LO zu
Solidaritätsaktionen für den 18. Juli 2015 auf.
Ryanair
wäre damit von
Tankservice, Gepäckabfertigung
und Catering ausgeschlossen worden. Für den 23. Juli
2015
waren auch Solidaritätsaktionen gegen Ryanair am Flughafen
Billund
in Jütland angekündigt. Daraufhin entschied die
zentrale
Leitung am 15. Juli 2015, sich aus Dänemark komplett
zurückzuziehen und künftig ab Kaunas in Litauen zu
fliegen.
Das Gerichtsurteil will Ryanair vor dem Europäischen
Gerichtshof
in Luxemburg anfechten. Folgende Texte sind nur in englischer Sprache
verfügbar:
Umstrittene Tarifeinheit in
britischer Bank
Am
14. Juli 2015 unterzeichnete
die Londoner Großbank Lloyds mit den beiden Gewerkschaften
Unite und Accord einen neuen Haustarifvertrag zur
Arbeitnehmervertretung. Beide sind Mitglied des Dachverbandes TUC und
verhandeln künftig alle kollektiven Angelegenheiten
für die gesamte britische Belegschaft. Der mit 42.000
Mitgliedern größten Gewerkschaft im Konzern, die
nicht dem TUC angeschlossene Lloyds
Trade Union (LTU), wurde die
Anerkennung als Tarifpartei entzogen ("derecognition"). Sie ist damit
ab sofort von allen Gremien der Arbeitnehmervertretung ausgeschlossen
und kann ihre Mitglieder nur noch individuell vertreten, so
wie es auch ein privater Rechtsanwalt tun könnte.
Die Lloyds
Banking
Group
mit weltweit 85.000 Beschäftigten war 2009
aus der Fusion von Lloyds TSB mit der Bausparkasse Halifax
und der Bank of Scotland entstanden. Die Rivalität zwischen
der etwas militanteren LTU und den beiden TUC-Gewerkschaften ist eine
direkte Folge dieser Fusion, da in jeder Bank eine andere Gewerkschaft
ihren Schwerpunkt hatte. Seit drei Jahren verhandelten sie
über
eine
partnerschaftliche Zusammenarbeit, allerdings ohne Ergebnis.
Die Situation erinnert an das deutsche Transportwesen, wo kleine
Berufsgewerkschaften gegen die
DGB-Gewerkschaften agieren. Eine "derecognition" ist in Deutschland
über das Tarifeinheitsgesetz
seit Juli 2015 erstmals explizit ermöglicht worden
(siehe Bericht
in den EBR-News 4/2014). Folgende Texte sind nur in
englischer Sprache
verfügbar:
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4.
Gerichtsurteile in EBR-Fragen
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Keine
Konsultationsrechte für nationale Tochtergesellschaft
Am 21. Mai 2015 lehnte das
Berufungsgericht von Versailles den Anspruch des Europäischen
Betriebsrates von Transdev, ein französischer Konzern im
Transportsektor, auf Unterrichtung und Anhörung über
die Zukunft der insolventen Fährgesellschaft SNCM aus
Marseille ab. Das Gericht mit Sitz in einem historischen
Gebäude (Foto) am Rande des berühmten Schlosses
bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz von November
2014 (siehe Bericht
in den EBR-News 4/2014). Da beide Geschäftsleitungen
ihren Sitz in Frankreich haben und SNCM lediglich 2,5% der
Gesamtbelegschaft von Transdev ausmacht, liegt hier kein
länderübergreifender Sachverhalt im Sinne der
EBR-Richtlinie vor.
Weiterhin
befaßte
sich das Gericht mit der Frage, wer im Namen eines
Europäischen Betriebsrates eine Klage einreichen darf. In
diesem Fall waren es 14 Delegierte (zwei Drittel aller EBR-Mitglieder).
Die zentrale Leitung argumentierte, einzelne Delegierte
dürften nicht im Namen des EBR klagen, da ihnen keine
Berechtigung übertragen wurde. Der EBR hätte
vielmehr während einer Sitzung mit der Mehrheit seiner
Mitglieder einen Beschluß fassen müssen.
Die Richter akzeptierten jedoch die Klage der 14 Delegierten, da
die Einberufung einer Sondersitzung des EBR einen zeitlichen Vorlauf
braucht und dadurch eine eventuelle Rechtsverletzung nicht mehr
rechtzeitig abgestellt werden kann.
Gewerkschaften
können nicht an Stelle des EBR klagen
Am
17. Juli 2015
lehnte das Landgericht Nanterre, einem Vorort von Paris, den
Antrag von zwei Gewerkschaften auf einstweilige Verfügung
gegen
geplante Massentlassungen von Total ab. Der französische
Mineralölkonzern will in der Raffinerie La Mède bei
Marseille 180 von 430 Arbeitsplätzen abbauen und in England,
in der Lindsey
Oil
Refinery an der Nordseeküste, 180 von 580.
Während die CGT in La
Mède 48
Tage streikte (Foto),
beteiligte sich die Mehrheit der Belegschaft wie auch die drei
anderen Gewerkschaften nicht daran. Auch die Konsultation im
EBR
wurde anders
abgewickelt als die CGT sich dies wünschte.
Daraufhin
verklagte die CGT gemeinsam mit der britischen Gewerkschaft
Unite
die zentrale Leitung. Die Richter bejahten
ausdrücklich das
Recht von Gewerkschaften, vor französischen Gerichten ein
korrektes Konsultationsverfahren einzufordern. Im konkreten
Fall
war aber der EBR von Total in seiner letzten
Sitzung über die Planungen des Managements anhand von
Unterlagen ausführlich informiert worden. Die Mehrheit des EBR
unterstützte die Klage der beiden Gewerkschaften daher nicht.
Nach
Meinung des Gerichts dürfen sich Gewerkschaften in einer
solchen
Situation nicht an die Stelle eines Europäischen Betriebsrates
setzen. Die Gerichtskosten von 5.000 € müssen beide
Gewerkschaften je zur Hälfte tragen. Die EBR-Vereinbarung von
Total wurde zuletzt im Oktober 2012 überarbeitet und gilt als
eine
der besten in Frankreich (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2012).
Das
deutsche EBR-Gesetz kommt vor das Bundesarbeitsgericht
Seit
1994 gibt es die EU-Richtlinie über den Europäischen
Betriebsrat. Niemals wurde bisher ein Rechtsstreit über die
Verletzung der Rechte eines EBR an die obersten deutschen
Arbeitsrichter herangetragen. Am 12. Oktober 2015 ließ das
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Rechtsbeschwerde
beim
Bundesarbeitsgericht zu, nachdem es einen Unterlassungsanspruch in
zweiter Instanz abgelehnt hatte.
Dem
Rechtsstreit liegt eine Werksschließung des australischen
Verpackungskonzerns Amcor in Neumünster (Schleswig-Holstein)
zum
Jahresende 2014 zugrunde. Der Europäische Betriebsrat war
hierzu
nicht korrekt informiert und angehört worden (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2015). Vor Gericht spielte am Ende nur noch die
richtlinienkonforme Umsetzung
des deutschen EBR-Gesetzes eine Rolle. Es war im April 2011 im
Deutschen Bundestag eine klare Entscheidung der damaligen
konservativ-liberalen Mehrheit, lediglich ein Bußgeld von
15.000
€ als Höchststrafe festzulegen. Die damalige
sozialdemokratische Opposition konnte sich mit einem Antrag auf
härtere Sanktionen nicht durchsetzen (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2011).
Nach Meinung vieler Juristen stellt dies eine Mißachtung der
Vorgaben des europäischen Gesetzgebers dar. Die EBR-Richtlinie
fordert nämlich explizit "Sanktionen, die wirksam,
abschreckend
und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen
sind". Möglicherweise wird diese Frage zunächst an
den
Europäischen Gerichtshof in Luxemburg herangetragen, bevor das
Bundesarbeitsgericht endgültig entscheidet.
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5. Fusionen
bestimmen die
EBR-Agenda
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Verzicht auf betriebsbedingte
Kündigungen gefordert
Am
23. Juli 2015 tagte der Europäische Betriebsrat des
schweizerischen Baustoff- und Klebstoffherstellers Sika am Standort Bad
Urach (Baden-Württemberg). Das von
einer Familienholding
beherrschte Unternehmen mit weltweit 17.000 Beschäftigten soll
an
den französischen Konzern Saint-Gobain verkauft werden. In
einem
offenen Brief forderte der EBR Zusagen
vom Vorstandsvorsitzenden
von Saint-Gobain, in den ersten drei Jahren nach der
Übernahme die Beschäftigung an allen Standorten zu
sichern
sowie das bestehende Lohngefüge und die standortbezogenen
Sozialleistungen nicht zu verschlechtern.
Der
EBR befürchtet, Teile von Sika könnten ausgegliedert
und
verkauft werden, um die hohen Kosten der Übernahme zu
kompensieren. "Aufgrund dieser für uns ungeklärten
Fragen
sind wir der Meinung, daß es für Sika und seine
Mitarbeiter
die beste Lösung wäre, als eigenständiges
schweizerisches Unternehmen bestehen zu bleiben", stellen die
Arbeitnehmervertreter klar. Saint-Gobain ist einer der zehn
größten Industriekonzerne Frankreichs mit 180.000
Beschäftigten in 66 Ländern und verfügt
bereits seit
1988 über einen Europäischen Betriebsrat, dessen
Vereinbarung
zuletzt im Mai 2009 aktualisiert wurde (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2009). Bei Sika wurde der
EBR 1996
gegründet.
Abfüllgesellschaften von
Coca-Cola fusionieren
Am
6. August 2015 fusionierten die drei großen
europäischen
Abfüller Coca-Cola Enterprises, Coca-Cola Iberian Partners und
Coca-Cola Erfrischungsgetränke zur neuen Gesellschaft
Coca-Cola
European Partners mit Sitz in London. Das neue Unternehmen hat 50
Abfüllanlagen in 13 Ländern mit 27.000
Beschäftigten,
davon 9.500 in Deutschland. Die US-Muttergesellschaft stellt lediglich
Konzentrate her. Die Abfüllung übernehmen
unabhängige, teils börsennotierte Gesellschaften, die
den
Namen Coca-Cola nur in Lizenz nutzen. An der Fusion nicht beteiligt ist
die Coca-Cola Hellenic Bottling Company für Italien,
Österreich und Osteuropa. Es ist das einzige Unternehmen in
Europa
mit einem Europäischen Betriebsrat nach griechischem Recht
(siehe Bericht
in den EBR-News 3/2012).
Von den drei an der Fusion beteiligten Unternehmen verfügt
lediglich Coca-Cola Enterprises über einen EBR,
der 1998 nach
belgischem Recht gegründet wurde. Für das neue
Unternehmen
steht jetzt die Bildung eines neuen Europäischen Betriebsrates
nach britischem Recht bevor, der alle 13 Länder
umfassen wird.
Spanische Belegschaft macht
weiter Schlagzeilen
Da Coca-Cola
Iberian Partners nur Standorte in Spanien und Portugal hatte, entstand
erst vor kurzem die Initiative zur Gründung
eines Europäischen Betriebsrates. Der Konflikt um die
Schließung von vier Abfüllanlagen erregte jedoch
europaweite
Aufmerksamkeit. Das höchste spanische
Gericht annulierte im Juni 2014 die Entlassung von 1.190
Beschäftigten, da kein
korrektes
Konsultationsverfahren mit den spanischen Betriebsräten
stattgefunden hatte (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2014). Nach weiteren gerichtlichen
Auseinandersetzungen ordneten die Richter
schließlich am 13. Juli 2015 an, die Entlassenen
unverzüglich wieder zu beschäftigen. Daraufhin wurde
der
Standort Fuenlabrada bei Madrid am 7. September 2015 wieder
eröffnet - zwar nicht als Abfüllanlage, aber als
Logistikzentrum.
Dieser Konflikt machte
nicht nur
Schlagzeilen innerhalb der EU und beschäftigte das
Europäische Parlament. Kürzlich berichtete sogar
die New
York Times und stellte die Frage: Kann ein spanisches
Gericht ein multinationales Unternehmen
zwingen, Coca-Cola
gegen seinen Willen abzufüllen? Sollte diese Angelegenheit
jetzt
dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt
werden,
stünde dort eine Grundsatzfrage zur Debatte, die auch viele
Europäische Betriebsräte beschäftigt: was
beinhaltet ein
korrektes Konsultationsverfahren und welche Konsequenzen hat es, wenn
die zentrale Leitung nicht korrekt konsultiert?
Europäische
Betriebsräte tappen weiter im Dunkeln
Obwohl
die Fusion bereits im April 2015 angekündigt wurde
und die
meisten Genehmigungen inzwischen vorliegen, haben die beiden
Europäischen Betriebsräte nur solche Informationen
bekommen,
die auch in der Presse bekannt sind. Am 11. September 2015 tagte die
gewerkschaftliche Koordinierungsgruppe für Nokia und
Alcatel-Lucent in Brüssel und bemängelte die
systematische
Mißachtung von Unterrichtungs- und Anhörungsrechten.
Es gibt
weder Aussagen zum Zeitplan, zum Prozedere noch zu den erwarteten
Ergebnissen der Fusion, insbesondere hinsichtlich der
Arbeitsplätze. Die Übernahme des
französisch-amerikanischen IT-Konzerns Alcatel-Lucent durch
den
finnischen Nokia-Konzern soll 2016 abgeschlossen sein. Es fehlt noch
die Zustimmung der französischen Regierung.
Kein
juristischer Anspruch auf
Konsultation
Da
beide Europäische Betriebsräte auf Basis einer
"freiwilligen"
Vereinbarung aus der Zeit vor 1996 arbeiten und somit nicht der
EU-Richtlinie unterliegen, kommt es auf den genauen Wortlaut der
EBR-Vereinbarung an. Obwohl die Texte in den zurückliegenden
Jahren überarbeitet wurden, ist in beiden
Fällen kein
Recht auf eine profunde Konsultation im Sinne der neuen EU-Standards
integriert worden. Allerdings gibt es in beiden Gremien
bereits
Erfahrungen mit gerichtlichen Auseinandersetzungen (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2015). Folgende Texte sind nur in englischer
Sprache verfügbar:
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6.
Nach- und Neuverhandlung von EBR-Vereinbarungen
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Niederländischer
Personaldienstleister bekommt vollwertigen EBR
Am 10. Juli
2015 wurde
für die Randstad Holding eine überarbeitete
EBR-Vereinbarung nach niederländischem Recht unterzeichnet.
Aus der 1996 gegründeten Plattform für Sozialen
Dialog wird erstmals ein vollwertiger Europäischer
Betriebsrat, der juristisch auf der neuen EU-Richtlinie
basiert. Bei der letzten Aktualisierung der Vereinbarung im November
2011 waren die neuen EU-Standards zur Unterrichtung und
Anhörung sowie ein Schulungsanspruch bereits aufgenommen
worden (siehe Bericht
in den EBR-News 1/2012), aber es blieb weiterhin eine
sogenannte "freiwillige" Alt-Vereinbarung.
Der
Europäische Betriebsrat tagt künftig zweimal
jährlich am Hauptsitz des Unternehmens in Diemen bei
Amsterdam. Jeder Delegierte hat zusätzlich zu den Sitzungen
fünf Tage, die drei Mitglieder des
geschäftsführenden Ausschusses sieben Tage
Freistellungszeit pro Jahr. Die Mandate werden genau nach der neuen
EU-Richtlinie vergeben: jedes Land im Europäischen Binnenmarkt
hat mindestens einen Sitz, pro 10% der europäischen
Belegschaft einen weiteren. Hinzu kommen zwei Mandate für
externe Gewerkschaftsvertreter. Bei Bedarf können
Sachverständige hinzugezogen werden. Randstad ist mit 28.000
Beschäftigten in 39 Ländern der
zweitgrößte Personaldienstleister der Welt.
Belgische Chemiegruppe
präzisiert Unterrichtungsmodus
Am
11. September 2015 wurde in Brüssel eine "Charta der
guten Praxis der Zusammenarbeit" zwischen der zentralen Leitung von
Solvay und dem EBR unterzeichnet. Sie definiert den Ablauf des
Unterrichtungsverfahrens mit dem Europäischen Betriebsrat und
den nationalen Arbeitnehmervertretungen bei größeren
Projekten und in wichtigen Feldern der Personalpolitik. Damit wird die
EBR-Vereinbarung vom Juni 2014 (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2014) präzisiert. Bevor eine
endgültige Entscheidung getroffen wird, legt die zentrale
Leitung ihre detaillierten Pläne in einem frühen
Stadium dem Präsidium des EBR vor. Parallel werden diese
Informationen in die beteiligten Länder an die lokalen
Betriebsräte weitergeleitet.
EBR
und zentrale Leitung legen dann eine Zeitspanne für die
Diskussionen auf nationaler Ebene und die weiteren Schritte
auf europäischer Ebene fest. Am Ende passen
die nationalen Betriebsräte die Maßnahme an
die Rechtslage in ihrem jeweiligen Land an. Diese
Methodenvereinbarung hat eine Laufzeit von zwei Jahren
(probeweise) und gilt nicht bei Restrukturierungen sowie bei Fusionen
und
Übernahmen. Solvay hatte im Mai 2015 ein weltweit
geltendes
Abkommen über Gewinnbeteiligung geschlossen (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2015).
Das
Thema der Abstimmung zwischen EBR und nationalen Betriebsräten
ist
eine sensible Frage, die juristisch nicht eindeutig geregelt ist. Im
Juli 2015 war hierzu eine Studie der Europäischen Stiftung zur
Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin erschienen,
die auch einschlägige Gerichtsurteile untersucht hat (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2015).
Spanische
Hotelkette gründet Europäischen Betriebsrat
Am
9. Oktober 2015 wurde in Madrid eine EBR-Vereinbarung
für NH Hoteles unterzeichnet. Die
drittgrößte
Hotelgruppe Europas betreibt über 400 Häuser in 29
Ländern der Welt. Neben Spanien waren im Besonderen
Verhandlungsgremium (BVG) Deutschland, Österreich, Belgien,
die
Niederlande, Italien und Rumänien vertreten. Weitere
Länder
kommen hinzu, wenn sich der neue EBR mit 17 Delegierten (davon vier aus
Spanien) bald konstituieren wird. Sie vertreten rund 10.000
Beschäftigte in Europa und wählen fünf
Mitglieder in den
geschäftsführenden Ausschuß.
Die
EBR-Vereinbarung basiert auf der neuen EU-Richtlinie und geht an
einigen Stellen über deren Mindeststandards hinaus. So wurden
Maßnahmen zur Reduzierung prekärer
Beschäftigung
und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit
ausdrücklich in
den Vertragstext aufgenommen. In Spanien und
anderen Krisenländern spielen diese Themen eine
große
Rolle. Nach wie vor hat Spanien auch einen großen
Rückstand
bei der Bildung Europäischer Betriebsräte. Erst in
elf
weiteren Unternehmen ist bisher ein EBR installiert worden, zuletzt im
Januar 2015 beim baskischen Automobilzulieferer Gestamp (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2015).
Eine
Auswahl von EBR-Vereinbarungstexten haben wir auf einer Downloadseite
zusammengestellt.
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7.
Neue SE-Beteiligungsvereinbarungen
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Saatguthersteller vermeidet
paritätischen Aufsichtsrat
Am 16.
März 2015 wurde
für den viertgrößten Saatguthersteller der
Welt, die KWS Saat in Einbeck (Niedersachsen), eine
SE-Vereinbarung unterzeichnet. Das mehrheitlich im Familienbesitz
befindliche Unternehmen mit knapp unter 2.000 Arbeitnehmern in
Deutschland (5.000 weltweit) konnte mit der SE-Umwandlung einen
paritätisch besetzten Aufsichtsrat vermeiden. Es bleibt bei
einer Drittelbeteiligung und die Arbeitnehmerseite erhält zwei
von sechs Sitzen.
Für die erste
Amtszeit wurden die Aufsichtsratsmandate vom Besonderen
Verhandlungsgremium (BVG) vergeben. In Zukunft findet eine europaweite
Urwahl durch die gesamte Belegschaft statt, so wie es bereits im
Juni 2009 für das bayerische Metallunternehmen Warema
festgelegt worden war (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2009). Der SE-Betriebsrat mit dem Namen "European Employee
Committee" (EEC) besteht aus elf Mitgliedern, darunter drei aus
Deutschland und acht für die übrigen 16
Länder. Er tagt zweimal jährlich und wählt
einen dreiköpfigen geschäftsführenden
Ausschuß. Das EEC kann weitere Ausschüsse bilden.
Die Vereinbarung hat eine ungewöhnlich lange Laufzeit bis Ende
2027. Einen Europäischen Betriebsrat hatte KWS Saat zuvor noch
nicht.
Französische
Ingenieurgruppe bildet SE-Betriebsrat
Am
30. März 2015 wurde
für Akka Technologies in Paris eine
SE-Beteiligungsvereinbarung unterzeichnet. Das Familienunternehmen ist
in den letzten Jahren durch Akquisitionen erheblich gewachsen und hat
heute 11.000 Beschäftigte in 20 Ländern weltweit,
darunter 5.600 in Frankreich und 3.000 in Deutschland, wo die Mehrheit
an der MBtech Group 2012 von Daimler übernommen wurde.
Ebenfalls
im März 2015, nur wenige Tage vorher, hatte der
französische IT-Konzern Dassault
Systèmes eine SE-Vereinbarung geschlossen (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2015). Bei Akka
Technologies tagt der SE-Betriebsrat zweimal jährlich unter
dem Vorsitz des Arbeitgebers (französisches Modell). Drei
Arbeitnehmervertreter führen als Präsidium die
laufenden
Geschäfte und treffen sich mindestens zweimal
jährlich. Eine
Beteiligung im Verwaltungsrat ist nicht vorgesehen.
Europäischer
Callcenter-Marktführer wird SE
Am 9. Juni 2015 wurde in Paris eine SE-Vereinbarung
für Teleperformance unterzeichnet. Das französische
Unternehmen hat 182.000 Beschäftigte in 62 Ländern
(davon 33.000 im Europäischen Binnenmarkt) und
steht mit
20% der Weltbevölkerung in Kontakt. Es ist die
größte
SE-Umwandlung, die je in Frankreich stattgefunden hat, und eine der
größten EU-weit.
Am 12.
Juni 2014 hatten bei einer Sitzung in Brüssel
Verhandlungen
zur
Bildung eines Europäischen Betriebsrates begonnen.
Als die
zentrale Leitung ihre Pläne zur Umwandlung in eine
Europäische Gesellschaft (SE) bekanntgab, wurden die
EBR-Verhandlungen am 18. Oktober 2014 abgebrochen. Das Besondere
Verhandlungsgremium (BVG)
ist in einem solchen Fall komplett neu zu wählen. Ihm
gehörten 33 Delegierte aus 19 Ländern an.
Nach mehreren
Verhandlungsrunden vereinbarten sie die Bildung eines SE-Betriebsrates,
konnten aber keine Beteiligung im Verwaltungsrat durchsetzen.
In
Frankreich ist es bereits die vierte SE-Umwandlung im laufenden Jahr,
allmählich steigt dort die Beliebtheit dieser
Rechtsform.
Frankreich belegt inzwischen den zweiten Platz in der EU bei der Zahl
der
SE-Vereinbarungen. Deutschland steht aber nach wie vor für die
Hälfte aller SE-Umwandlungen in ganz Europa (siehe Bericht in den
EBR-News 4/2011).
Weitere
Informationen zur Rechtsform der SE haben wir auf einer Spezialseite
zusammengestellt.
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8. Erste SCE-Umwandlung in Europa
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Deutscher Fleischverarbeiter wird
Europäische Genossenschaft (SCE)
Am
21. April 2015 wurde am Sitz von Westfleisch in Münster eine
SCE-Beteiligungsvereinbarung unterzeichnet. Es ist eine Premiere
für ganz Europa. Seit dem 31. August 2015 firmiert
die
westfälische Schlachthofgruppe als SCE, als eine
Europäische
Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea). Schon seit 2006 kann
diese Rechtsform gewählt werden, bisher machte aber noch kein
einziges Unternehmen davon Gebrauch. Ähnlich wie bei der
Europäischen Gesellschaft (SE) ist die Umwandlung einer
nationalen
Genossenschaft in eine SCE nur möglich, wenn die zentrale
Leitung
ein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) bildet, um eine
Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer zu
erzielen.
Scheitern diese Verhandlungen, greift eine gesetzliche
Auffanglösung wie bei der SE.
Bei
Westfleisch
gehörten dem BVG zehn Delegierte aus Deutschland an,
die Mandate der anderen fünf Länder blieben
mangels
Kandidaten vakant. Im künftigen SCE-Betriebsrat sind
nur
solche Länder vertreten, die mindestens 250
Arbeitnehmer
haben. Daher entfallen alle neun Sitze auf Deutschland, hinzu kommt ein
externer Gewerkschaftsvertreter. Sie tagen
einmal jährlich,
die laufenden Geschäfte führt
ein dreiköpfiges Präsidium. Die
Unterrichtungs- und
Anhörungsrechte sind mit den Regeln eines
SE-Betriebsrats identisch. Der SCE-Betriebsrat hat Anspruch auf
Sachverständige, Dolmetscher und Schulungen. Einziges
Land
mit einer Arbeitnehmervertretung ist Rumänien, in den
Niederlassungen von Westfleisch in Litauen, Polen, Ungarn und Schweden
ist dies nicht der Fall.
Aufsichtsrat auf Dauer ohne
paritätische Mitbestimmung
Der Aufsichtsrat
von
Westfleisch hat künftig 13 Mitglieder,
darunter fünf Arbeitnehmervertreter (bisher vier von 14).
Mitglieder der Genossenschaft sind 4.200 Landwirte. Die
Arbeitnehmervertreter werden vom
SCE-Betriebsrat nach einer Kandidatenliste des
geschäftsführenden Ausschusses im
Verhältnis der
Belegschaftsgröße der einzelnen
Tochtergesellschaften gewählt. Der SCE-Betriebsrat kann diese
Kandidatenliste annehmen oder
ablehnen
(Blockwahl), aber keine Veränderungen daran vornehmen. In
Deutschland hat
Westfleisch 1.930 Beschäftigte, bei
Überschreiten der Grenze von 2.000
wäre ein paritätischer Aufsichtsrat zu bilden. Durch
die Umwandlung in eine SCE konnte die zentrale Leitung
dies vermeiden - eine Motivation, die auch vielen
SE-Umwandlungen
zugrunde liegt. Ähnlich wie 2009 bei der Gesellschaft
für
Konsumforschung (GfK) konnten die Betriebsräte ein
Verhandlungsergebnis erzielen, das
über die Drittelbeteiligung hinausgeht
(siehe Bericht
in den
EBR-News 1/2010).
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9. Der Blick
über
Europa hinaus
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Weltweites Netzwerk bei
finnischem Verpackungshersteller
Am 1. Juni 2015
gründeten Gewerkschaften aus acht Ländern mit
Standorten von Huhtamäki ein weltweites Netzwerk,
eine Art Vorläufer zu einem Weltbetriebsrat. Auch die zentrale
Leitung nahm an der Sitzung teil und gab eine Präsentation.
Dabei kam es zu einem Eklat, als die Situation in den USA angesprochen wurde. Das
lokale Management einer Fabrik in Kalifornien hatte sogenannte
"Anti Union Consultants" beauftragt, die Gründung einer
Arbeitnehmervertretung zu verhindern. Über dieses Thema
wollte die zentrale Leitung in Helsinki jedoch nicht
diskutieren und verließ die Veranstaltung.
Europäische Unternehmen verletzen häufiger die in
Europa geltenden Sozialstandards in ihren Standorten in den USA (siehe Bericht in den
EBR-News 3/2010).
Weltweite Sozialstandards bei
der ABN AMRO Bank
Am
1. September 2015 wurde am Sitz der Bank in Amsterdam ein
internationales Rahmenabkommen geschlossen. Es stärkt weltweit
den sozialen Dialog mit den Gewerkschaften und fördert ein
neues Modell von "sustainable banking". Einmal jährlich wird
die Einhaltung des Abkommens von einem Monitoringkomitee aus
Gewerkschafts- und Managementvertretern überprüft. Es
ist das erste Abkommen seiner Art in der niederländischen
Finanzindustrie. Die ABN AMRO Bank befindet sich seit 2010 aufgrund der
Finanzkrise im Besitz des niederländischen Staates. Folgende
Texte sind nur in englischer Sprache verfügbar:
Afrikanisches
Bergbauunternehmen in Paris verurteilt
Am 10. September 2015
verurteilte ein Berufungsgericht in Paris den Manganproduzenten
Comilog, Tochtergesellschaft des französischen
Bergbauunternehmens Eramet, zu einer Entschädigungszahlung an
600 ehemalige Beschäftigte aus dem Kongo. Sie waren 1992 nach
unfallbedingter Sperrung einer Eisenbahnlinie und dem dadurch
ausgelösten Produktionsstopp fristlos und ohne Abfindung
entlassen worden. Das Urteil ist eine Premiere und eine juristische
Sensation nach vielen Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen. Nie
zuvor ist ein Unternehmen von einem Gericht in Frankreich für
die Personalpolitik in Afrika finanziell haftbar gemacht
worden.
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10.
Interessante Webseiten
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Europäischer
Betriebsrat mit
eigener Internetseite
Der
Europäische Betriebsrat des IT-Unternehmens Econocom mit Sitz
in
Brüssel wurde 2007 gegründet. In den letzten Jahren
hat
er eine eigene Internetseite in fünf Sprachen
aufgebaut. Dort
sind Protokolle der Sitzungen, Berichte über seine
Aktivitäten und Seminarmaterialien zu finden. Nach der
Umwandlung
von Econocom in eine Europäische Gesellschaft (SE) wird der
Europäische Betriebsrat sich in einen SE-Betriebsrat
umwandeln.
Dies war Gegenstand der Sondersitzung des engeren Ausschusses am
21. Juli 2015, auf der die zentrale Leitung ihre
Pläne zur
SE-Umwandlung erstmals vorlegte. Im Jahr 2009 hatte der EBR ein
transnationales Abkommen
über die sozialen Folgen einer Verlagerung von
Geschäftsaktivitäten nach Marokko geschlossen (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2009).
Weitere
Webseiten von
Europäischen Betriebsräten:
Europa in Zahlen
Das
Statistische Bundesamt in Wiesbaden veröffentlicht auf seiner
Internetseite regelmäßig aktuelle Statistiken
über die
Europäische Union und Deutschland im Ländervergleich.
So
hatte Deutschland im August 2015 die niedrigste Arbeitslosenquote aller
EU-Länder, die höchste Quote verzeichneten
Griechenland und
Spanien. Die Webseite verlinkt auch direkt mit den
Länderprofilen des Statistischen Amtes der
Europäischen
Union (Eurostat) in Luxemburg. Dort sind statistische Vergleiche
zwischen jeweils zwei EU-Ländern möglich.
Stoppt die Briefkastenfirmen
Die
Europäische Föderation der Bau- und Holzarbeiter in
Brüssel fordert die Europäische Kommission auf,
Gesetzeslücken zu schließen, damit die
Gründung von
Scheinfirmen in anderen EU-Ländern zur Vermeidung von
Sozialversicherungsabgaben künftig nicht mehr möglich
ist.
Hierzu hat sie eine Kampagne gestartet und eine eigene Webseite
erstellt. Die Frage ist nicht nur für
Sozialversicherungsabgaben
relevant, sie betrifft auch die Mitbestimmung im Aufsichtsrat (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2015).
Arbeitsrecht in 76
Ländern
Die
Wage Indicator Foundation betreibt seit 15 Jahren eine Webseite mit
Lohnvergleichen. Die gewerkschaftsnahe Einrichtung der
Universität
Amsterdam analysiert Lohnentwicklung und Tarifpolitik in vielen
Ländern, in Deutschland in Kooperation mit der
Hans-Böckler-Stiftung. Auf der
Webseite sind die
"Collective Bargaining News" über die Tarifpolitik
sämtlicher
EU-Länder zu finden. Ebenso gibt es eine Zusammenstellung
über die wichtigsten Merkmale des Arbeitsrechts in 76
Ländern
weltweit. Die Webseite ist nur in englischer Sprache verfügbar.
Zahlreiche
weitere interessante Links haben wir in einer Linksammlung
zusammengestellt.
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Osteuropäische
Gewerkschaften auf EU-Kurs?
Im
Mai 2015 ist
dieser Forschungsbericht erschienen, der die Einbindung der
Gewerkschaften aus den sechs größten
Beitrittsländern
Osteuropas (Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien
und
Ungarn) in das System der Brüsseler EU-Politik
untersucht.
Für sie spielt dort vor allem die Beteiligung in den
Gremien
des Sozialen Dialogs eine wichtige Rolle (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2014). Die Autoren beleuchten auch die Rolle
osteuropäischer
Gewerkschaften in den Europäischen Betriebsräten. Die
Gewerkschaften aus den neuen Mitgliedsländern haben in der
Regel
ein deutlich positives Bild der EU und sehen deren
Einfluß
auf die nationale Politik zumeist als hilfreich an.
Finanziert wurde die Studie von der
Hans-Böckler-Stiftung.
Der Abschlußbericht liegt nur in englischer Sprache vor.
Kompetenzentwicklung auf der
EU-Agenda
Die Ausgabe
Juli 2015 der Zeitschrift "Sozialagenda" der Europäischen
Kommission
beschäftigt sich mit Berufsbildung und der Entwicklung von
Kompetenzen von Arbeitnehmern. Mit Geldern aus dem
Europäischen Sozialfonds werden beispielsweise Projekte in
Portugal und Tschechien gefördert, die die Zeitschrift
präsentiert. Derzeit arbeitet die Europäische
Kommission an
einer neuen Strategie, um die bestehenden Instrumente und
Fördergelder zu optimieren. Eckpfeiler dabei sind insbesondere
eine Modernisierung der Berufsbildung sowie eine umfassende Entwicklung
von Kompetenzen und Qualifikationen. Zu beobachten ist heute bereits:
in EU-Ländern mit einem leistungsfähigen
Berufsbildungssystem
ist die Jugendarbeitslosigkeit niedriger.
Globale Wertschöpfungsketten
organisieren
Im
August 2015 legte die Friedrich-Ebert-Stiftung diese Analyse
über
die Herausforderungen weltumspannender Produktions- und
Zuliefernetzwerke auf die Politik von Gewerkschaften vor. Sie
enthält eine Definition globaler Wertschöpfungsketten
und
benennt Beispiele für die wachsende Macht multinationaler
Konzerne
in neuen Wirtschaftssektoren, darunter den US-Versandhändler
Amazon (siehe Bericht
in den EBR-News 3/2014). Die Durchsetzung gewerkschaftlicher
Forderungen ist dort nur
möglich, wenn die gesamte Kette der Wertschöpfung
über
Ländergrenzen hinweg in den Blick genommen wird. Die Studie
benennt auch einige positive Beispiele internationaler
Solidarität
wie die US-Kampagnen beim schwedischen Möbelhersteller Ikea
(siehe Bericht
in
den EBR-News 2/2011) oder bei der Deutschen Telekom (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2011).
EBR-Fallstudien bei
Automobilzulieferern
Im
August 2015 wurden die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der
Ruhr-Universität Bochum veröffentlicht, das sich mit
Europäischen Betriebsräten in der
Automobilzulieferindustrie beschäftigt. Untersucht wurden
dabei fünf Unternehmen, darunter Bosch (siehe Bericht in den
EBR-News 2/2010) und Continental (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2012). Im Mittelpunkt stand die Frage, ob und wie
die Europäischen Betriebsräte die Konzernstrategien
bezüglich der Verteilung von Produktionsvolumina beeinflussen
und dabei die Interessen der Beschäftigten zur Geltung bringen
konnten. Die gleiche Forschungsstelle hatte 2010 bereits einen
Bericht über Automobilhersteller erarbeitet (siehe Bericht in den
EBR-News 1/2010).
Weitere
Literatur haben wir in einer Literatursammlung
zusammengestellt.
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12. Die EWC
Academy: Beispiele aus unserer Arbeit
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Textilkette bereitet
SE-Umwandlung vor
Am
28. Juli 2015 führte die EWC Academy am Sitz der Tom Tailor
Holding in Hamburg ein Seminar für die deutschen
Betriebsräte
des Modeunternehmens durch. Dabei wurden die Rahmenbedingungen der
geplanten SE-Umwandlung und die Bildung des Besonderen
Verhandlungsgremiums (BVG) besprochen.
Tom
Tailor ist mit
über 6.600 Arbeitnehmern in 12 EU-Ländern vertreten,
neben
Deutschland vor allem in Österreich und den Niederlanden. Da
es in
Deutschland etwa 5.000 Beschäftigte und damit mehr als die
gesetzliche Schwelle von 25% der europäischen Belegschaft
gibt,
wird über einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat
verhandelt. Auch die Bildung eines SE-Betriebsrates wird Gegenstand der
Verhandlungen sein. Einen Europäischen Betriebsrat hat Tom
Tailor
bisher noch nicht.
Besuch
beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg
Vom
28. September bis 2. Oktober 2015 fand in Luxemburg ein
Seminar
der EWC Academy zum EU-Arbeitsrecht und dessen Auswirkungen auf das
deutsche Arbeitsrecht statt. Im Rahmen eines Besuches beim
Europäischen Gerichtshof (auf dem Foto einige der
Seminarteilnehmer) wurden seine Aufgaben und Rolle erläutert.
Ein
weiterer Programmpunkt der Seminarwoche war die Besichtigung der
Produktionsstätte von Japan
Tobacco in Trier, wo der Co-Vorsitzende des
Europäischen Betriebsrats über seine Arbeit
berichtete.
Kommunikationstraining
für französischen Paketdienst
Der
Europäische
Betriebsrat von GeoPost tagte am 15. und 16. Oktober 2015 in Prag. Auf
der Tagesordnung der Delegierten aus neun Ländern stand ein
von
der EWC Academy organisiertes Kommunikationstraining. GeoPost
ist zweitgrößter Paketzusteller in Europa
und betreibt
als DPDgroup die Paketsparte der staatlichen
französischen La Poste. Der EBR wurde im Mai 2008
gegründet (siehe Bericht
in den EBR-News 3/2008) und hatte im Jahr 2013 mit der
zentralen Leitung eine europäische Sozialcharta ausgehandelt
(siehe Bericht
in den EBR-News 3/2013).
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13.
Aktuelle Seminartermine
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Die
EWC Academy und ihre
Vorläuferorganisation führt seit
Januar 2009 Tagungen und Seminare für Mitglieder von
Europäischen
Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen
Verhandlungsgremien durch. Bisher haben daran 625 Arbeitnehmervertreter
aus
236
Unternehmen teilgenommen, viele von ihnen auch mehrfach. Das entspricht
etwa 19%
aller transnationalen Betriebsratsgremien in Europa. Hinzu
kommen zahlreiche Inhouse-Veranstaltungen und
Gastvorträge bei anderen Veranstaltern.
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Die
EBR-News werden herausgegeben von:
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dieser Ausgabe:
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