Nr. 3/2021 |
22. September 2021 |
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1. Mitbestimmungsflucht erreicht den DAX
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Deutscher Leitindex: weniger Frauen und weniger Arbeitnehmervertreter
Am 20. September 2021 wurde der Deutsche Aktienindex (DAX) von 30 auf 40 Unternehmen aufgestockt. Grund für diese Reform waren Ereignisse um den Zahlungsdienstleister Wirecard im Juni 2020, die einen Imagewechsel des DAX notwendig machten. Die neuen DAX-Mitglieder verändern den Leitindex jedoch negativ, betrachtet man die Frauenquote und die Mitbestimmung. Zehn von 40 DAX-Unternehmen haben keine Arbeitnehmer im Aufsichtsrat.
Die Insolvenz des DAX-Mitglieds Wirecard gilt als einer der größten Betrugsskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die wahren finanziellen Verhältnisse des Konzerns konnten auch deshalb nicht frühzeitig aufgedeckt werden, weil das Management sowohl eine Mitbestimmung im Aufsichtsrat als auch die Gründung von Betriebsräten gezielt verhindert hatte (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Im DAX war Wirecard damit ein Ausnahmefall. 2015 gab es noch Arbeitnehmervertreter in allen DAX-Unternehmen, danach begann der schleichende Niedergang. Von den bisherigen 30 Mitgliedern haben derzeit 26 einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat, ein Mitglied unterliegt der Drittelbeteiligung. Drei Unternehmen hatten sich der Mitbestimmung entzogen, so die Immobiliengruppe Deutsche Wohnen, wo ein Rechtsstreit über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates seit Jahren durch die Instanzen läuft (siehe Bericht in den EBR-News 4/2018). Der Gas- und Technologiekonzern Linde verlegte seinen Sitz von München nach Dublin, um Steuern zu sparen und die Mitbestimmung abzuschütteln. Dies löste 2017 einen Eklat mit den Gewerkschaften aus (siehe Bericht in den EBR-News 2/2017).
Von den zehn neuen DAX-Mitgliedern haben nur zwei Unternehmen ihren Aufsichtsrat zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt und zwei weitere zu einem Drittel. Zwei weitere Unternehmen konnten durch Umwandlung in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) aus der Mitbestimmung flüchten: im Dezember 2016 der Lebensmittel-Lieferdienst HelloFresh (siehe Bericht in den EBR-News 1/2017) und im Februar 2021 die Chemiehandelsgruppe Brenntag (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). Der Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus und der Pharmakonzern Qiagen nutzen Briefkastenfirmen in den Niederlanden. Ausländische Gesellschaften sind von der niederländischen Mitbestimmung befreit, wenn sie dort nur eine sehr kleine Belegschaft haben. Hinzu kommen Steuererleichterungen (siehe Bericht in den EBR-News 4/2013). Der Modeversender Zalando hatte bei der SE-Umwandlung im März 2014 eine Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat festgeschrieben, obwohl damals schon weit über 2.000 Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt waren. Eine Klage der Gewerkschaft ver.di, die bei der Wahl zum Besonderen Verhandlungsgremium übergangen worden war, brachte jedoch keinen Erfolg (siehe Bericht in den EBR-News 4/2015).
Pressebericht über die schwindende Mitbestimmung
Bericht des Europäischen Gewerkschaftsbundes
Pressebericht über die geringe Frauenquote der neuen DAX-Mitglieder
Nach der Bundestagswahl ist eine grundlegende Diskussion zu erwarten
Die Hans-Böckler-Stiftung legt seit Jahren immer wieder aktuelle Zahlen vor und weist darauf hin, dass das deutsche System der Mitbestimmung im Aufsichtsrat durch SE-Umwandlungen und ausländische Rechtsformen immer weiter unterspült wird (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020). Im Februar 2017 forderte der Deutsche Bundesrat eine Gesetzesinitiative, um derartige Flucht aus der Mitbestimmung zu stoppen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2017). Zuletzt war im Mai 2021 ein Antrag der Grünen im Deutschen Bundestag gescheitert, aber mehrere Parteien haben sich dazu öffentlich geäußert oder diesen Punkt explizit in ihr Wahlprogramm aufgenommen (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021). Im Juni 2021 legte die Hans-Böckler-Stiftung den Entwurf eines Gesetzes zur Erstreckung der deutschen Mitbestimmung auf Auslandsgesellschaften vor.
Bericht über den Gesetzentwurf
Der Gesetzentwurf im Wortlaut
Video zur Mitbestimmungsflucht |
2. Europäisches Parlament will Mitbestimmung stärken
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Neue Initiative für eine Rahmenrichtlinie
Am 1. Juli 2021 wurde im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten der Entwurf eines Berichts zum Thema "Demokratie am Arbeitsplatz" diskutiert. Gefordert wird darin eine Rahmenrichtlinie zur Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung der Arbeitnehmer, um die bisherigen Richtlinien zu konsolidieren (darunter EBR, SE, SCE, Unterrichtung und Anhörung auf lokaler Ebene, Verschmelzung von Unternehmen). Weiter wird eine Überarbeitung der Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates gefordert. Autorin des Berichts ist die deutsche Sozialdemokratin Gabriele Bischoff, die vor ihrer Abgeordnetentätigkeit viele Jahre beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gearbeitet hat. Im Herbst 2021 wird der Ausschuss und im Dezember 2021 das Plenum des Europäischen Parlaments darüber abstimmen.
Hinsichtlich der EBR-Richtlinie fordert der Bericht die Europäische Kommission auf
- Unterrichtungs- und Anhörungsrechte zu gewährleisten, damit der Europäische Betriebsrat seine Stellungnahme abgeben kann, bevor die Anhörung abgeschlossen ist
- den Zugang zur Justiz zu gewährleisten
- Ausnahmen für alte, "freiwillige" Vereinbarungen nach mehr als 20 Jahren zu beenden
- Sanktionen einzuführen
- das Konzept des "transnationalen Charakters einer Angelegenheit" zu konsolidieren
- den Missbrauch von Vertraulichkeitsregeln zu verhindern
- eine effiziente Koordinierung von Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene sicherzustellen.
Flucht aus der Mitbestimmung durch SE-Umwandlung soll beendet werden
Zur Corporate Governance fordert der Bericht, dass künftig in allen EU-Ländern Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsrat vertreten sein sollen, und zwar
- mit zwei oder drei Sitzen in kleinen Unternehmen mit 50 bis 250 Beschäftigten, so wie es heute schon in Skandinavien weit verbreitet ist
- mit einem Drittel aller Sitze in Unternehmen mit 250 bis 1.000 Beschäftigten
- mit der Hälfte aller Sitze in großen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten
Der Bericht kritisiert auch die Schlupflöcher im Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), die genutzt werden, um nationale Regeln zur Mitbestimmung zu umgehen. Ähnliches gilt für grenzüberschreitende Fusionen, die Aufspaltung von Unternehmen in komplexe Strukturen oder Auslagerung in Liefer- und Subunternehmerketten. Das Thema hatte kürzlich auch den Deutschen Bundestag beschäftigt (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021).
Erläuterung des Berichts von Gabriele Bischoff
Der Entwurf des Berichts im Wortlaut
Video der Debatte im Ausschuss (ab Minute 13:51, Verdolmetschung in 18 Sprachen verfügbar)
Position des Europäischen Gewerkschaftsbundes zur Rahmenrichtlinie
Beurteilung der EBR-Richtlinie durch den wissenschaftlichen Dienst des Parlaments |
3. Starker Rückgang transnationaler Betriebsvereinbarungen
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Ernüchternde Analyse aus Frankreich
Im Juni 2021 legte das gewerkschaftsnahe französische Institut de recherches économiques et sociales (IRES), vergleichbar der deutschen Hans-Böckler-Stiftung, eine Bestandsaufnahme der Rahmenabkommen mit multinationalen Unternehmen vor. Hierbei sind drei Arten zu unterscheiden. Auf weltweiter Ebene gab es bis Ende 2020 insgesamt 218 internationale Rahmenabkommen (IFA) und in Europa 166 transnationale Betriebsvereinbarungen zu sozialen Fragen oder zum Umgang mit Restrukturierungen. Die dritte Art transnationaler Abkommen, die etwa 1.200 EBR- und SE-Vereinbarungen über die Arbeitsweise von Betriebsräten, sind in dieser Analyse nicht berücksichtigt.
Es fällt auf, dass die meisten Abkommen in französischen Unternehmen geschlossen wurden: 25% aller internationalen Rahmenabkommen und die Hälfte aller europaweiten Betriebsvereinbarungen. Auf Unternehmen mit Hauptsitz im Vereinigten Königreich entfallen dagegen nur 2 bis 3%. Die nordischen Länder belegen trotz ihrer relativ kleinen Bevölkerung mit 18% der globalen Rahmenabkommen einen Spitzenplatz - ein deutlicher Hinweis auf die ausgeprägte Sozialpartnerschaft. Als das wirtschaftlich stärkste Land in Europa steht Deutschland dagegen nur für 11% aller internationalen und 16% aller europaweiten Abkommen. US-Unternehmen sind bei weltweiten Rahmenabkommen zögerlich, haben aber ähnlich viele europaweite Vereinbarungen geschlossen wie deutsche Konzerne. Belgien und die Niederlande liegen gleichauf bei weltweiten Abkommen, zeigen aber ein völlig abweichendes Bild bei europaweiten Betriebsvereinbarungen: auf Belgien entfallen 7% und auf die Niederlande keine einzige. Die meisten Rahmenvereinbarungen gibt es in der Metall-, Chemie- und Bauindustrie.
Ungeklärte juristische und praktische Fragen
Nach dem kontinuierlichen Anstieg der Zahl transnationaler Abkommen seit der Jahrtausendwende war 2008 ein Höhepunkt erreicht. Danach ging die Zahl jedes Jahr immer weiter zurück, insbesondere in Deutschland. Es gelingt fast nicht mehr, weitere Unternehmen zu bewegen, ein Abkommen mit den Gewerkschaften oder dem Europäischen Betriebsrat zu schließen. Neue Abkommen gibt es meist nur noch in Unternehmen, die zuvor bereits ein anderes Abkommen unterzeichnet hatten. Zudem ist die rechtliche Absicherung solcher Abkommen bis heute ungeklärt, was vom Europäischen Parlament im September 2013 angemahnt wurde (siehe Bericht in den EBR-News 3/2013).
Streit gibt es auch bei der Frage, wer die Verhandlungen mit den Unternehmen führen soll. 94% der weltweiten Rahmenabkommen wurden von den Gewerkschaften ausgehandelt und unterzeichnet, der Rest zusätzlich auch vom EBR. Bei europaweiten Betriebsvereinbarungen ist es genau umgekehrt: mehr als die Hälfte wurden vom Europäischen Betriebsrat oder SE-Betriebsrat ausgehandelt, nur 14% von Gewerkschaften und der Rest von Betriebsräten und Gewerkschaften gemeinsam. Dabei stellen die Europäischen Gewerkschaftsverbände die Legitimität der Europäischen Betriebsräte grundsätzlich in Frage. Sie streben eine Zweiteilung wie in der französischen Betriebsverfassung an: der Betriebsrat ist für Unterrichtung und Anhörung zuständig, Verhandlungen sind das Vorrecht der Gewerkschaften (siehe Bericht in den EBR-News 3/2010).
Die Analyse des IRES sieht genau darin den wichtigsten Grund, warum es seit 2017 fast keine neuen europaweiten Betriebsvereinbarungen mehr gibt. Während die internationalen Rahmenabkommen von einer Mehrheit der Gewerkschaften aller betroffenen Länder angenommen werden müssen, hat bei den europaweiten Betriebsvereinbarungen jedes Land ab 5% der europäischen Belegschaft ein Vetorecht. So konnte z. B. im Mai 2012 beim französischen Konzern Alstom keine europaweite Verhandlung zur Auslagerung des IT-Bereichs stattfinden, weil die italienischen Gewerkschaften dies ablehnten (siehe Bericht in den EBR-News 2/2012). In der Praxis übernehmen dann die Europäischen Betriebsräte die Verhandlungen, weil sie mit Mehrheit beschliessen können. Diese Rollenverteilung löst jedoch Kritik bei den Gewerkschaften aus, zuletzt im November 2020 bei einer europäischen Betriebsvereinbarung für die italienische Bank UniCredit (siehe Bericht in den EBR-News 4/2020).
Die Analyse im Wortlaut
Hintergrundwissen über internationale Rahmenabkommen
Datenbank transnationaler Betriebsvereinbarungen |
4. Berichte aus einzelnen Ländern
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EU lehnt hohe Sozialstandards der Schweiz ab
Am 26. Mai 2021 ist das Rahmenabkommen, das auf eine engere Anbindung der Schweiz an die EU zielte, gescheitert. In den 2014 begonnenen Verhandlungen war die EU nicht bereit, das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" zu akzeptieren. Die Gewerkschaften in der Schweiz unterstützten daher den Abbruch der Verhandlungen und betonen: "Das Nein zum vorliegenden Rahmenabkommen ist ein Ja zum sozialen Europa, zur Personenfreizügigkeit und zu starken Arbeitnehmerrechten für alle!"
Um von den Vorteilen des Binnenmarktes zu profitieren, hatte die Schweiz 1999 und 2004 umfassende bilaterale Verträge mit der EU geschlossen. Große Teile der EU-Gesetzgebung sind auf diesem Weg in das nationale Recht der Schweiz gelangt. Das Rahmenabkommen sollte die unübersichtliche und zersplitterte Rechtslage zusammenführen und festlegen, wie künftige Änderungen des europäischen Rechts von der Schweiz dynamisch übernommen werden. Für die EU-Verhandler war der Schutz des Arbeitsmarkts vor Wettbewerbsverzerrungen wichtiger als das Prinzip der EU-Entsenderichtlinie (siehe Bericht in den EBR-News 4/2017), die primär dem Arbeitnehmerschutz dient.
"Flankierende Maßnahmen" gegen Lohn- und Sozialdumping
Die Schweiz war nicht bereit, ihre Schutzvorschriften gegen Lohn- und Sozialdumping abzuschaffen, z. B. Ankündigungsfristen für die Aufnahme der Arbeit in der Schweiz, die Hinterlegung einer Kaution für Geldstrafen, die Häufigkeit der Kontrollen und die Strafhöhe. Diese "Flankierenden Maßnahmen" wurden 1998 bis 2005 im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Europäischen Binnenmarktes in Kraft gesetzt, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen. Ein Nebeneffekt war, dass sich die Abdeckung der Arbeitsbevölkerung der Schweiz mit Tarifverträgen erhöhte. Für den Bundesrat (das ist die Regierung der Schweiz) sind die Gewerkschaften ein wichtiger Faktor, warum das Rahmenabkommen am Ende als nicht mehrheitsfähig beurteilt wurde.
Medienmitteilung des Bundesrates
Pressebericht über den Abbruch der Verhandlungen
Resolution der Gewerkschaft Unia
Ausführlicher Rückblick auf die Entwicklung
Bewertung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
Unabhängigkeitsreferendum in Schottland innerhalb von zwei Jahren geplant
Bei der Landtagswahl am 6. Mai 2021 siegten erwartungsgemäß die Befürworter eines unabhängigen Schottland als Teil der EU. Die Erste Ministerin Nicola Sturgeon (Foto) von der linksliberalen Schottischen Nationalpartei SNP verpaßte die absolute Mehrheit nur um einen Sitz und bildete eine Koalitionsregierung mit den Grünen. Erstmals in der Geschichte des Vereinigten Königreiches gibt es jetzt eine Regierung mit zwei grünen Ministern. Ziel ist ein Unabhängigkeitsreferendum bis spätestens Ende 2023.
Im September 2014 hatten beim ersten Unabhängigkeitsreferendum noch 55% der Schotten für einen Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt, doch 2016 lehnten sie mehrheitlich den Brexit ab. Dies änderte die gesamte Stimmung. Bereits im März 2017 beantragte Sturgeon die Genehmigung für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum bei der britischen Zentralregierung, was diese bis heute ablehnt. Allerdings erklärte Staatsminister Michael Gove am 1. August 2021 überraschenderweise: "Wenn es eindeutig einen klaren Willen für ein Referendum gibt, dann wird es eines geben". Am 27. August 2021 erklärte der britische Schottland-Minister, dass ein Referendum stattfinden könne, wenn über einen längeren Zeitraum 60% der Schotten dies wünschten. Im Dezember 2020 zeigten Umfragen erstmals eine Mehrheit von 52% für die Unabhängigkeit und nur 38% lehnten sie ab. Heute gibt es aber wieder mehr Unentschlossene. Dennoch ist die Entscheidung über die Durchführung eines Referendums wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Pressebericht über die neue schottische Regierung
Pressebericht über die grünen Minister
Pressebericht über das geplante Unabhängigkeitsreferendum
Pressebericht über die neue Position der britischen Regierung
Bevorstehender Regierungswechsel in Norwegen
Jonas Gahr Støre von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Foto) wird voraussichtlich neuer Ministerpräsident. Bei der Parlamentswahl am 13. September 2021 konnten fünf rot-grüne Parteien eine Mehrheit gegenüber den seit 2013 amtierenden Konservativen erringen. Nach zwanzig Jahren sind dann erstmals wieder alle fünf skandinavischen Länder sozialdemokratisch regiert. Der Wohlstand Norwegens ist zu einem großen Teil auf Erdölförderung in der Nordsee zurückzuführen, in Zeiten der Klimakrise war dies ein wichtiges Thema im Wahlkampf.
Die Arbeiterpartei will keine neuen Ölfelder mehr erschließen und ab 2025 nur noch batteriebetriebene Neuwagen zulassen, die heute schon einen Marktanteil von 54% haben. Die Stromversorgung beruht zu 99% auf erneuerbaren Energien, insbesondere Wasserkraft. Damit der weitere ökologische Umbau sozialverträglich erfolgen kann, sollen die Gewerkschaften eng eingebunden werden. In Norwegen liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad bei 50% und damit niedriger als in anderen skandinavischen Ländern, aber immer noch erheblich höher als im Rest von Europa. In Finnland zeigt sich jedoch, dass hohe Mitgliederzahlen nicht automatisch eine Stärkung des Tarifverhandlungswesens bedeuten (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021). Norwegen ist kein EU-Mitglied, gehört aber dem Europäischen Wirtschaftsraum an. Die Arbeiterpartei will daran nichts ändern und für Europäische Betriebsräte bleibt alles wie bisher.
Bericht über den Wahlsieg
Überblick über die skandinavischen Regierungen
Die aktuelle Gewerkschaftslandschaft in Norwegen |
5. Aktuelle Gerichtsentscheidungen
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Bußgeld wegen computergesteuerter Diskriminierung
Am 5. Juli 2021 verhängte die italienische Datenschutzbehörde wegen der rechtswidrigen Nutzung von Algorithmen ein Bußgeld von 2,6 Mio. € gegen den Essenslieferdienst Foodinho in Mailand. Er gehört zu Glovo, einem Start-up aus Barcelona, das in 21 Ländern tätig ist. Foodinho hatte seine 19.000 Fahrer nicht angemessen über die Funktionsweise der Algorithmen unterrichtet und keine Vorkehrungen getroffen, um die Genauigkeit und Fairness der Ergebnisse zu gewährleisten, die dann zur Bewertung der Fahrerleistungen herangezogen wurden. In manchen Fällen wurden Fahrer durch eine automatisiert getroffene Entscheidung von der Plattform ausgeschlossen, ohne diese Entscheidung anfechten zu können.
Pressemitteilung der Datenschutzbehörde
Bericht über die juristischen Hintergründe
Die Aufgaben der italienischen Datenschutzbehörde
Im Dezember 2020 hatte das Arbeitsgericht Bologna den britischen Lieferdienst Deliveroo wegen der Verletzung von Arbeitnehmerrechten und Diskriminierung durch einen Algorithmus zu Schadensersatz verurteilt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). Ein ähnliches Urteil erging im Februar 2021 vom Bezirksgericht Amsterdam gegen den Transportdienst Uber (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021).
Studie über algorithmische Systeme im Personalmanagement
Britische Schiedsstelle widerspricht sich selbst
Am 11. August 2021 gab das Central Arbitration Committee (CAC) in London den zweiten Teil der Entscheidung hinsichtlich der britischen Großbank HSBC bekannt. Sie hatte zum 1. Januar 2021 die gesamte britische Belegschaft aus dem EBR ausgeschlossen und wendet nun irisches Recht an. Am 22. Juni 2021 hatte das CAC den Ausschluss der britischen Unternehmensteile aus dem EBR für zulässig erklärt, da sie dem Wortlaut der EBR-Vereinbarung entsprechen würde (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021).
Ungeklärt blieb jedoch die Frage, ob ein britisches Unternehmen ohne ausdrückliche Zustimmung der Arbeitnehmervertreter das anwendbare Recht ändern kann. Das Vereinigte Königreich ist das einzige Nicht-EU-Land mit einem gültigen EBR-Gesetz, dem alle europaweit tätigen britischen Unternehmen auch nach dem Brexit unterliegen. Bisher war es nur für Unternehmen aus Drittstaaten (USA, Japan) möglich, das nationale Recht frei zu wählen und den EBR in ein anderes Land zu verlegen. Das CAC erklärte die einseitige Entscheidung der zentralen Leitung von HSBC, den EBR in Dublin anzusiedeln, für rechtmäßig und widersprach damit seiner eigenen Entscheidung vom 1. Juni 2021 hinsichtlich der Fluggesellschaft easyJet (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021). Der einzige Unterschied zwischen diesen beiden Fällen ist, dass HSBC eine EBR-Vereinbarung hat und easyJet nach den subsidiären Vorschriften mit einem EBR "kraft Gesetz" arbeitet.
Die CAC-Entscheidung im Wortlaut
Gewerkschaften verlieren auch in der zweiten Instanz
Am 2. September 2021 lehnte der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Beschwerde des Europäischen Gewerkschaftsverbandes für den Öffentlichen Dienst (EGÖD) gegen ein erstinstanzliches Urteil vom 24. Oktober 2019 ab (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019). Damit sind die Gewerkschaften jetzt endgültig gescheitert, eine Vereinbarung zur Unterrichtung und Anhörung am Arbeitsplatz für 9,8 Mio. Arbeitnehmer des Öffentlichen Dienstes mittels einer EU-Richtlinie durchzusetzen. Da der Öffentliche Dienst in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, weigerte sich die Europäische Kommission, tätig zu werden.
Das Urteil betrifft einen Kernbereich des EU-Arbeitsrechts. Laut Vertrag über die Arbeitsweise der EU können die im Rahmen des Sozialen Dialogs getroffenen Vereinbarungen als EU-Richtlinie in Kraft treten, wenn beide Tarifparteien dies beantragen (wie im vorliegenden Fall geschehen). Allerdings hat die Europäische Kommission - so das Urteil - immer das letzte Wort. Für die Gewerkschaften ist das Autonomierecht der Tarifparteien bei der Entwicklung sozialer Mindeststandards in der EU wie auch die Rechtsverbindlichkeit ihrer Abkommen jetzt in Frage gestellt. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) fordert ein dringendes Treffen mit der Europäischen Kommission, damit ein klares und sicheres Verfahren etabliert werden kann, um Vereinbarungen der Tarifparteien in die Gesetzgebung der EU aufzunehmen. "Das Urteil bekräftigt die weit verbreitete Ansicht, dass der Europäische Gerichtshof Schwierigkeiten hat, die Arbeitsbeziehungen zu verstehen, und eine eigene Arbeitsrechtskammer mit einschlägig erfahrenen Richtern haben sollte." Forderungen zur Stärkung des Sozialen Dialogs enthält auch der Bericht der ehemaligen deutschen Arbeitsministerin Andrea Nahles vom 3. Februar 2021.
Pressemitteilung des Gerichtshofs
Das Urteil im Wortlaut
Pressemitteilung des EGÖD
Pressemitteilung des EGB
Forderungen des Nahles-Berichts |
6. Neue Betriebsräte nehmen ihre Arbeit auf
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Ehemaliges Tochterunternehmen von Siemens mit eigenständigem EBR
Am 17. März 2021 wurde eine EBR-Vereinbarung für Siemens Energy mit Sitz in München unterzeichnet. Die Energietechnikgruppe ist seit September 2020 börsennotiert, Siemens hält derzeit nur noch eine Minderheitsbeteiligung. Kurz nach dem Börsengang gab die zentrale Leitung den Abbau von 7.000 der 91.000 weltweiten Arbeitsplätze bekannt, davon 2.900 in Deutschland. Seit der Abspaltung fungierte eine Arbeitsgruppe mit 17 Delegierten aus elf Ländern als eine Art "vorläufiger EBR" (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020).
Während Siemens immer noch mit einer "freiwilligen" EBR-Vereinbarung aus dem Jahr 1995 arbeitet, die mehrfach aktualisiert wurde, unterliegt Siemens Energy vollständig der neuen EU-Richtlinie. Hierfür wurde ein Besonderes Verhandlungsgremium gebildet, das relativ schnell zu einem Ergebnis kam. Dem geschäftsführenden Ausschuss gehören fünf Vertreter an: aus Deutschland und den Regionen Nordwest, Südwest sowie Zentraleuropa. Er führt vier reguläre Sitzungen im Jahr durch.
Neben einer jährlichen Plenarsitzung des EBR gibt es in jeder Region einmal jährlich Sitzungen der EBR-Mitglieder mit dem regionalen Management. Diese Besonderheit ist im Siemens-Konzern schon seit 2008 üblich (siehe Bericht in den EBR-News 2/2008) und bleibt bei Siemens Energy bestehen. Um grundlegenden Strukturveränderungen des Konzerns in Zukunft Rechnung zu tragen, können EBR-Ausschüsse z. B. für eigenständige Sparten gebildet werden. Der Bereich erneuerbare Energien ist im spanischen Unternehmen Siemens Gamesa gebündelt, wo es seit Februar 2015 ein internationales Rahmenabkommen mit den Gewerkschaften gibt (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).
Mit der Abspaltung wurde die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat beibehalten. Er unterliegt der paritätischen Mitbestimmung mit je zehn Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer, davon sechs deutsche Betriebsratsmitglieder, drei hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre der IG Metall und ein leitender Angestellter. Auf Arbeitgeberseite gehört Sigmar Gabriel dem Aufsichtsrat an, ehemaliger deutscher Außenminister und langjähriger Vorsitzender der SPD.
Bericht über den Personalabbau in Deutschland
EBR-Gründung in norwegischem Technologiekonzern
Am 14. Juni 2021 wurde in Kongsberg westlich von Oslo, bekannt für die ehemalige Silbermine, dem Ursprung des gleichnamigen Rüstungskonzerns, eine Vereinbarung zur Bildung eines Europäischen Betriebsrates für die Sparte Marinetechnologie geschlossen. Kongsberg Maritime hat weltweit 7.300 Beschäftigte und produziert Systeme zur Ortung, Vermessung, Navigation und Automatisierung von Handelsschiffen und Offshore-Anlagen. Im EBR ist auch das Vereinigte Königreich vertreten, wo 2019 eine Tochter von Rolls-Royce aufgekauft wurde.
Wie in Skandinavien üblich, ist die EBR-Vereinbarung knapp gehalten. Der Schwerpunkt liegt in den nordischen Ländern, in Polen und den Niederlanden. Kleine Länder mit weniger als 100 Arbeitnehmern haben ein gemeinsames Delegiertenmandat. Den Vorsitz hat der Personaldirektor, der einen EBR-Sekretär für die administrativen Aufgaben benennt. Die Delegierten ("Consultation Representatives") wählen ihren eigenen Vorsitzenden und einen engeren Ausschuss aus sechs Mitgliedern, die viermal im Jahr mit der zentralen Leitung zusammenkommen. Weitere Sitzungen ohne das Management sind jederzeit möglich, sollen aber virtuell stattfinden. Der engere Ausschuss ist ausdrücklich ermächtigt, die Interessen der Belegschaft auch gegenüber der Europäischen Kommission, dem Parlament oder anderen europäischen Einrichtungen zu vertreten. Der EBR kann einen bezahlten Sachverständigen und einen Koordinator des Europäischen Industriegewerkschaftsbundes (industriALL) hinzuziehen.
Auf der Liste der Zuständigkeiten des EBR wird der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz ganz vorne benannt, noch vor den betriebswirtschaftlichen Themen. Auch Leiharbeit, Gleichbehandlung und Antidiskriminierung sind ausdrücklich in den Katalog aufgenommen. In jeder EBR-Sitzung werden die Informationen in vier Kategorien von Vertraulichkeit eingeteilt: nur für EBR-Mitglieder (A) - für EBR und nationale Gesamtbetriebsräte (B) - für alle lokalen Betriebsräte (C) - für die gesamte Belegschaft (D). Die zentrale Leitung erläutert jeweils, warum Vertraulichkeit erforderlich ist und wie lange sie gilt. Als Freistellungszeit erhalten alle EBR-Mitglieder drei Tage pro Jahr zur freien Verfügung (zusätzlich zu offiziellen Sitzungen), die Mitglieder des engeren Ausschusses fünf und der Vorsitzende zwölf Tage. Hinzu kommt ein Schulungsanspruch. Regulär findet eine jährliche Präsenzsitzung statt, zu der auch die Ersatzmitglieder eingeladen werden. Weitere Plenarsitzungen sind möglich, dann jedoch nur als Videokonferenz.
Kleines ostdeutsches Chemieunternehmen gründet EBR
Am 29. Juni 2021 wurde für Domo Chemicals in Leuna (Sachsen-Anhalt) eine EBR-Vereinbarung unterzeichnet. Das Unternehmen produziert Kunststoffe, gehört einer belgischen Investmentfirma und ist durch Akquisitionen stark gewachsen. Der EBR vertritt 2.000 Beschäftigte in sechs EU-Ländern, je 700 in Deutschland und Frankreich sowie 300 in Polen.
Er hat 13 Mitglieder und arbeitet nach belgischem Recht, obwohl der Firmensitz sich in Deutschland befindet und es in Belgien nur 47 Arbeitnehmer gibt. Nach Vorbild eines belgischen Betriebsrates liegt der Vorsitz beim europäischen Personaldirektor, der einen Managementkoordinator für die laufende EBR-Arbeit benennt. Die Arbeitnehmervertreter wählen den Sekretär und zwei Stellvertreter, die den engeren Ausschuss bilden und jedes Quartal mit der zentralen Leitung zusammenkommen (davon mindestens zweimal als Präsenzsitzung). Die Plenarsitzungen des EBR finden zweimal jährlich in verschiedenen Betriebsstätten des Unternehmens statt.
Unterrichtung und Anhörung in außerordentlichen Umständen kann nur mit Zustimmung des EBR als Videokonferenz durchgeführt werden. Seine Stellungnahme muss der EBR innerhalb von 14 oder 28 Tagen (je nach Komplexität des Falles) nach Unterrichtung durch die zentrale Leitung vorlegen. Damit ist die Anhörung abgeschlossen. Der EBR kann sich durch einen Sachverständigen des Europäischen Industriegewerkschaftsbundes (industriALL) sowie einen bezahlten Sachverständigen seiner Wahl bei der Arbeit unterstützen lassen. Der Schulungsanspruch gilt sowohl für kollektive Inhouse-Trainings als auch für die Teilnahme einzelner EBR-Mitglieder an externen Seminaren. |
7. Aktuelle SE-Umwandlungen
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Familienunternehmen aus Bayern flüchtet aus der Mitbestimmung
Am 15. Juni 2021 wurde für 1.900 Beschäftigte von Dehn in Nürnberg eine SE-Beteiligungsvereinbarung geschlossen. Der Hersteller von Elektrotechnik konnte damit sicherstellen, dass Arbeitnehmervertreter dem Aufsichtsrat nie angehören werden. Neu errichtet wird ein SE-Betriebsrat ("Europäisches Arbeitnehmerforum") aus 13 Mitgliedern, davon sieben aus Deutschland und je eines aus Österreich, Dänemark, Spanien, Frankreich, Italien und Polen. Er tagt zweimal im Jahr in Nürnberg, zwei weitere Sitzungen sind möglich, allerdings nur virtuell und ohne Dolmetscher. Video- und Telefonkonferenzen können Präsenzsitzungen ersetzen, wenn der dreiköpfige geschäftsführende Ausschuss zustimmt. Die zentrale Leitung kann dies nicht erzwingen.
Auf der Tagesordnung des SE-Betriebsrates findet sich neben den gesetzlichen Mindestpunkten auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz und das Unfallgeschehen. In außergewöhnlichen Umständen ist keine Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses, sondern des SE-Betriebsrates vorgesehen. Jede Entscheidung, die in Deutschland getroffen wird und Auswirkungen in einem anderen Land hat, fällt in dessen Zuständigkeit. Stellungnahmen müssen innerhalb von zwei Wochen abgegeben werden. Der SE-Betriebsrat kann bei Meinungsverschiedenheiten eine zweite Sitzung verlangen, um eine Einigung herbeizuführen. Erst danach ist die Unterrichtung und Anhörung abgeschlossen. Alle anderen Teile der SE-Vereinbarung sind weitgehend identisch mit der gesetzlichen Auffanglösung. Streitigkeiten über die Interpretation der SE-Vereinbarung werden in einer paritätisch besetzten Mediationsstelle besprochen, sofern sich beide Seiten auf einen unabhängigen Vorsitzenden einigen können. Gelingt dies nicht, wird die Streitfrage sofort dem Arbeitsgericht vorgelegt.
Hamburger Familienunternehmen friert Drittelbeteiligung ein
Am 29. Juni 2021 kam es bei Eppendorf zum Abschluss einer SE-Beteiligungsvereinbarung. In wenigen Tagen wird der Weltmarktführer bei Geräten und Verbrauchsmaterial für klinische, umweltanalytische und industrielle Labore als Europäische Gesellschaft (SE) firmieren und knapp vor Überschreiten der Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern in Deutschland die Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat festschreiben. Die Verhandlungen liefen mit Unterstützung durch die EWC Academy seit Januar 2021, und zwar ausschließlich per Videokonferenz (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021).
Der künftige SE-Betriebsrat hat 18 Mitglieder und eine Amtszeit von fünf Jahren. Es sind zwei reguläre Präsenzsitzungen pro Jahr vorgesehen, eine davon ohne die zentrale Leitung, z. B. für Schulungen. Das Vereinigte Königreich hat die zweitgrößte Belegschaft nach Deutschland und bleibt auf Dauer im Geltungsbereich der SE-Vereinbarung, auch die Schweiz ist dort einbezogen. Der geschäftsführende Ausschuss besteht aus fünf Mitgliedern. Beschlüsse und Wahlen können in virtuellen Sitzungen oder im schriftlichen Umlaufverfahren erfolgen, sofern nicht ein Drittel der Delegierten widerspricht.
Die Unterrichtung und Anhörung erfolgt in den SE-typischen zwei Stufen. Sollte die zentrale Leitung nicht entsprechend der Stellungnahme des SE-Betriebsrates handeln, findet eine weitere Sitzung statt, um eine Einigung herbeizuführen. Besonders stark ist der Schutz der vielen kleinen Länder, die keine Arbeitnehmervertretung haben. Beschäftigte können sich direkt an den SE-Betriebsrat wenden, der dann ein Dialogrecht gegenüber der zentralen Leitung wahrnimmt. Bei Umstrukturierungen ist der SE-Betriebsrat bereits ab fünf Entlassungen pro Land offiziell zuständig. Er hat Zutrittsrecht zu allen Betrieben und Initiativrechte bei Datenschutz, Chancengleichheit, Arbeits- und Gesundheitsschutz, der sozialen Verantwortung des Unternehmens und Nachhaltigkeit. Alle Delegierten verfügen über den gleichen Schutz wie ein deutscher Betriebsrat.
Im Aufsichtsrat stellt die Arbeitnehmerseite weiterhin zwei von sechs Mitgliedern. Neu ist, dass jedem Ausschuss des Aufsichtsrates mindestens ein Arbeitnehmervertreter angehört. Die SE-Vereinbarung kann hinsichtlich der Mitbestimmung im Aufsichtsrat nur einvernehmlich geändert werden, d. h. sie ist praktisch unkündbar. Hinsichtlich des SE-Betriebsrates kann sie nach zehn Jahren gekündigt werden.
Verpackungsholding vermeidet Hineinwachsen in die Drittelbeteiligung
Am 20. Juli 2021 wurde an einem Produktionsstandort von Ringmetall in Berg (Südpfalz) eine SE-Beteiligungsvereinbarung geschlossen. Die Holding mit Sitz in München führt zwanzig Unternehmen, die 70% des Weltmarktes von Spannringen repräsentieren, die beim Verschluss von Kunststofffässern benötigt werden. Von 600 Beschäftigten in Europa entfallen knapp 500 auf Deutschland und der Rest auf vier weitere EU-Länder. Nach Eintragung der SE, die am 2. August 2021 erfolgte, sind weitere Akquisitionen geplant. Der Aufsichtsrat bleibt jedoch auf Dauer ohne Arbeitnehmervertreter.
Der künftige SE-Betriebsrat hat acht Mitglieder, er wird bei einem Wachstum des Unternehmens nicht vergrößert. Anfangs entfallen sechs Sitze auf Deutschland und einer auf Italien. Frankreich, Spanien und die Niederlande haben einen gemeinsamen Sitz. Die beiden Standorte im Vereinigten Königreich wurden ausgeschlossen, obwohl das Land noch im Besonderen Verhandlungsgremium beteiligt war. Zweimal jährlich führt der SE-Betriebsrat eine ordentliche Sitzung durch, eine als Präsenzsitzung. Alle anderen Sitzungen, auch die außerordentlichen, finden grundsätzlich nur als Videokonferenz statt. Der geschäftsführende Ausschuss hat drei Mitglieder, die sich in der Regel nur per Videokonferenz treffen können. Bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Arbeitgeber wird eine Schlichtungsstelle mit je drei Beisitzern und einem neutralen Vorsitzenden gebildet. Alle anderen Punkte entsprechen weitgehend der gesetzlichen Auffangregelung. |
8. Vertragspolitik Europäischer Betriebsräte
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Französischer Mischkonzern erneuert EBR-Vereinbarung
Am 30. März 2021 wurde in Paris für den französischen Konzern Bouygues eine EBR-Vereinbarung unterzeichnet, die das frühere Abkommen ersetzt (siehe Bericht in den EBR-News 4/2012). Das familiengeführte Unternehmen ist die fünftgrößte Baugesellschaft Europas mit 129.000 Beschäftigten und drittgrößter französischer Telefonnetzbetreiber. Weiterhin übt er auch die Kontrolle über die Mediengruppe TF1 aus, das privatisierte erste Fernsehprogramm. 20% der Aktien gehören der Belegschaft, die vier von 14 Mitgliedern des Verwaltungsrates stellt.
Der EBR hat 27 Mitglieder, davon 13 aus Frankreich und je einen Sitz für elf EU-Länder, die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Zusätzlich kann die Europäische Föderation der Baugewerkschaften (EFBH) einen betrieblichen Arbeitnehmervertreter aus einem beliebigen Land als EBR-Mitglied und einen hauptamtlichen Gewerkschaftssekretär als Berater benennen. Den Vorsitz hat der Arbeitgeber, aktuell der Sohn des Firmengründers. Die Arbeitnehmerseite wählt einen Sekretär und vier weitere Mitglieder in das Präsidium, das zusammen mit dem Vorsitzenden (dem Arbeitgeber) den engeren Ausschuss bildet. Jedes Präsidiumsmitglied hat neben den offiziellen Sitzungs- und Schulungszeiten 220 Stunden Freistellung pro Jahr. Alle laufenden Kosten werden vom Unternehmen getragen, hinzu kommt ein eigenes Budget von 25.000 € jährlich für das Präsidium. Der EBR tagt regulär einmal pro Jahr sowie zu speziellen Schulungsterminen und auf Antrag in außergewöhnlichen Umständen. Wie in Frankreich üblich, kann er eine Beratungsgesellschaft zur Bilanzanalyse hinzuziehen. Für die Abgabe einer Stellungnahme wurde keine Frist definiert, was für französische Verhältnisse ungewöhnlich ist (siehe Bericht in den EBR-News 1/2014).
Die EBR-Vereinbarung im Wortlaut
Sozialverträgliche Gestaltung von Personalabbau
Am 29. April 2021 wurde in Hannover für den Tourismuskonzern TUI eine Übereinkunft zwischen EBR und zentraler Leitung über die sozialverträgliche Gestaltung der Digitalisierung getroffen. Die gesamte Tourismusbranche war hart von der Coronakrise betroffen (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020) und der Betrieb von Reisebüros, Hotels, Fluggesellschaften und Kreuzfahrtschiffen von TUI mit 50.000 Beschäftigten weltweit musste nahezu komplett heruntergefahren und 8.000 Stellen abgebaut werden. Um aus der Krise herauszukommen, will das größte Tourismusunternehmen der Welt zu einer digitalen Travel Tec Company werden.
Sollte dieser Wandel in einzelnen europäischen Niederlassungen zu betriebsbedingten Entlassungen führen, gelten die Mindeststandards der Übereinkunft. Dazu gehören einerseits die Unterstützung bei Trennungsgesprächen und der beruflichen Neuorientierung, Bewerbungstrainings sowie betriebsinterne Weiterbildungsprogramme, andererseits die Möglichkeit einer Wiedereinstellung bei wirtschaftlicher Erholung. Entlassene Arbeitnehmer erhalten regelmäßige Informationen über freie Stellen im Konzern. Eine vergleichbare Übereinkunft hatte der EBR des Chemiekonzerns Bayer im November 2019 mit der zentralen Leitung getroffen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2020).
TUI verfügt bereits seit September 1996 über ein Europa-Forum (so der Name des EBR) auf Basis einer "freiwilligen" Artikel-14-Vereinbarung nach deutschem Recht, die zuletzt 2014 aktualisiert wurde. Sie geht weit über die EU-Richtlinie hinaus und beinhaltet einen eigenen Airline-Ausschusses für die Fluggesellschaften des Konzerns und einen schriftlichen Verfahrensablauf über die Anhörung bei Umstrukturierungen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2015).
Ernährungssparte im niederländischen Chemiekonzern weiter mit eigenem EBR
Am 17. Juni 2021 wurde für DSM Nutritional Products eine überarbeitete EBR-Vereinbarung nach deutschem Recht unterzeichnet. Sie ersetzt eine frühere Vereinbarung von 2008. Der EBR umfaßt die Sparte Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel des niederländischen DSM-Konzerns, die aus der Schweiz (Kaiseraugst bei Basel) gesteuert wird. Mit weltweit 13.000 Beschäftigten stellt sie die Hälfte der DSM-Belegschaft, erwirtschaftet aber zwei Drittel des Umsatzes. Wie bisher sind auch die Schweiz mit fünf und Großbritannien mit einem Delegierten vertreten, sechs Delegierte kommen aus fünf EU-Ländern. Der EBR vertritt insgesamt 4.000 Arbeitnehmer.
Die EBR-Mitglieder tagen zweimal jährlich und wählen einen Vorsitzenden und zwei weitere Mitglieder in den engeren Ausschuss. In den Sitzungen mit der zentralen Leitung führt immer der europäische Personaldirektor den Vorsitz. Ansonsten entspricht die Vereinbarung weitgehend den subsidiären Vorschriften der EU-Richtlinie. In außerordentlichen Umständen wird zuerst der EBR-Vorsitzende von der zentralen Leitung informiert. Er kann eine Sondersitzung beantragen, die innerhalb von acht Tagen stattfinden muss. Der EBR kann seine Stellungnahme innerhalb einer angemessenen Frist abgeben, eine konkrete Zeitvorgabe gibt es hierfür nicht. Er kann einen Sachverständigen hinzuziehen und an Schulungen teilnehmen. |
9. Der Blick über Europa hinaus
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Spanischer Warenhauskonzern übernimmt Verantwortung für die Lieferkette
Am 14. Juli 2021 unterzeichnete die Geschäftsleitung von El Corte Inglés in Madrid ein Rahmenabkommen mit den Gewerkschaftsbünden CC.OO. und UGT. Es stärkt die Anwendung internationaler Menschenrechts-, Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards in der globalen Lieferkette der Eigenmarken des Konzerns und ermöglicht die Überwachung durch die Gewerkschaften. Sollten Probleme festgestellt werden, wird eine Lösung im gemeinsamen Dialog gesucht. Das Familienunternehmen ist bezogen auf den Umsatz die größte Warenhauskette Europas und belegt weltweit Platz vier, obwohl es nur auf der iberischen Halbinsel vertreten ist.
Pressebericht über die Unterzeichnung
Erläuterung der Gewerkschaft CC.OO.
Das Abkommen im Wortlaut
Deutsche Automobilholding stärkt soziale Verantwortung
Am 1. September 2021 wurde für Daimler ein internationales Rahmenabkommen geschlossen, das ein älteres Abkommen von 2002 erheblich erweitert und ergänzt. Vertragspartner der Konzernleitung sind der Weltbetriebsrat und der Internationale Industriegewerkschaftsbund (industriALL) in Genf. Der Vertrag beinhaltet nicht nur die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), sondern geht weit darüber hinaus. In seiner detaillierten Beschreibung von Richtlinien und Praktiken bis zum Monitoring nimmt er bereits die Lieferkettengesetze vorweg (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021).
So gilt die Bekämpfung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz als ein integraler Bestandteil der Unternehmenspolitik zu Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung. Der Konzern verpflichtet sich zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette, will Hinweisgeber besonders schützen, unterstreicht die Bedeutung des Datenschutzes, setzt Grenzen beim Einsatz künstlicher Intelligenz und fördert Ausbildung und lebenslanges Lernen im Übergang zur Elektromobilität. Für die Gewerkschaften besonders zentral: das Management bekennt sich zur Neutralität, wenn sie Mitglieder werben und Arbeitnehmervertretungen errichten wollen. Bei Volkswagen führte dies im Januar 2019 zur Suspendierung des internationalen Rahmenabkommens (siehe Bericht in den EBR-News 1/2019).
Bericht über das Abkommen
Das Abkommen im Wortlaut
Bereits über 100 Konzerne unterstützen neues Abkommen in der Textilproduktion
Am 1. September 2021 ist ein neues "Internationales Abkommen für Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungs-industrie" in Kraft getreten. Bereits nach wenigen Tagen wurde am 6. September 2021 die Zahl von 100 Unterzeichnern überschritten. Es ersetzt ein 2013 über fünf Jahre geschlossenes Abkommen über Gebäude- und Brandschutz für Textilfabriken in Bangladesch (siehe Bericht in den EBR-News 3/2013), das für 1.600 Fabriken mit zwei Millionen Beschäftigten galt.
Bangladesch war seit 2010 nach China der zweitgrößte Bekleidungsexporteur der Welt, verlor diesen Rang aber im Juli 2021 an Vietnam. Folglich sieht das neue Abkommen eine Ausdehnung auf neue Länder vor. Es wird auch um die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht erweitert, wie sie von den neuen Lieferkettengesetzen verlangt wird (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021). Weiterhin beinhaltet es ein optimiertes Schlichtungsverfahren bei Verstößen gegen die Vertragsregeln, unabhängige Kontrollen in den Fabriken und Beiträge der Textilkonzerne für Sicherheitsschulungen und Verbesserungen der Produktionsbedingungen vor Ort.
Bericht über das neue Abkommen
Das Abkommen im Wortlaut
Liste der Unterzeichner |
10. Interessante Webseiten
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Neues Online-Wörterbuch zum Arbeits- und Gesundheitsschutz
Am 23. März 2021 startete die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) einen neuen Online-Service: ein Thesaurus mit 2.000 Fachbegriffen aus dem betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz in 25 Sprachen. Die einzelnen Begriffe sind in der gewählten Sprache genau erläutert und mit einem Klick erscheinen die Übersetzungen des jeweiligen Fachbegriffs. Das Wörterbuch kann nicht nur online genutzt, sondern auch im Excel-Format in jeder Sprache heruntergeladen werden. Die Europäische Agentur mit Sitz in Bilbao ist eine Einrichtung der Europäischen Union und bietet weitere Werkzeuge und Leitfäden zum betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz in vielen Sprachen an.
Der neue Thesaurus
Biometrische Überwachung soll weltweit gestoppt werden
Am 7. Juni 2021 forderten mehr als 200 Menschenrechts- und Datenschutzorganisationen ein vollständiges Verbot biometrischer Überwachungstechnologie. Der Einsatz von Gesichtserkennung in der Öffentlichkeit ermöglicht eine Massenüberwachung, aber auch diskriminierende gezielte Überwachung. Die Technologie sei in der Lage, Menschen überall zu identifizieren, auszusondern und zu verfolgen. Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten würden auf diese Weise untergraben. Das Verbot soll sowohl für Regierungen als auch Privatunternehmen gelten. Am 23. Juni 2021 schloss sich der Europäische Industriegewerkschaftsbund (industriALL) diesem Aufruf an. Er sieht Versammlungs- und Streikrecht und gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit bedroht. Seit Oktober 2020 gibt es bereits eine Petition mit dem Titel "Reclaim your face" für ein europäisches Verbot biometrischer Massenüberwachung.
Erläuterung der weltweiten Kampagne
Der weltweite Aufruf im Wortlaut
Die Stellungnahme von industriALL
Die Petition für ein europäisches Gesetz
Neue Datenbank zum Sozialen Dialog
Das Europäische Gewerkschaftsinstitut in Brüssel startete am 29. Juni 2021 eine neue Online-Datenbank mit Abkommen, die im Europäischen Sozialdialog entstanden sind. Dabei handelt es sich um ein institutionell verankertes Dialogforum zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden mit Beteiligung der Europäischen Kommission über sozialpolitische Fragen, das es schon seit Mitte der 1980er Jahre gibt. Dort wurde zuletzt im Juni 2020 ein Rahmenabkommen zur Digitalisierung erzielt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Neben dem branchenübergreifenden sozialen Dialog gibt es 43 Branchenarbeitskreise, z. B. Holzverarbeitung oder Häfen oder Gesundheitswesen.
Die neue Datenbank des Europäischen Gewerkschaftsinstituts
Die Webseite der Europäischen Kommission zum Sozialen Dialog
Ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit bei Führungskräften
Am 26. November 2021 ist die Abschlusskonferenz des Projekts "Nachhaltige Führung für einen gerechten und grünen Wandel" geplant, das der Verband CEC European Managers gemeinsam mit Führungskräftevereinigungen aus Deutschland, Dänemark und Slowenien mit finanzieller Unterstützung der EU durchführte. Das Projekt hat eine eigene Webseite, wo die Ergebnisse einer Umfrage unter 1.500 Führungskräften aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Polen und Dänemark zu finden sind. Danach gibt es eine deutliche Kluft zwischen politischen Nachhaltigkeitszielen und der Realität der Arbeitswelt. Während viele Führungskräfte von der Bedeutung der Nachhaltigkeit überzeugt sind, wird sie in Unternehmen nur unzureichend praktiziert und es fehlt an gezielter Aus- und Weiterbildung von Führungskräften. Im Projekt wurden auch Richtlinien für nachhaltige Führung entwickelt.
Die Webseite des Projekts
Weitere Informationen zur Umfrage
Die Richtlinien für nachhaltige Führung |
11. Neue Publikationen
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Nordisch-deutsche Gewerkschaftskooperation für einen gerechten Strukturwandel
Im März 2021 ist diese Synthese aus sechs Länderberichten über den "Weg zur klimaneutralen Gesellschaft" erschienen. Für alle fünf nordischen Länder und für Deutschland wurde die Klimapolitik des jeweiligen Landes und deren ökonomische und gesellschaftliche Folgen untersucht und die betreffenden nationalen Instrumente ausgewertet. Leitgedanke dabei ist, wie der Wandel zu einer klimaneutralen Gesellschaft mit einer gerechten und nachhaltigen Volkswirtschaft verbunden werden kann. Die Publikationen sind Ergebnis einer skandinavisch-deutschen Gewerkschaftskooperation unter Beteiligung des Nordischen Gewerkschaftsrats (NFS), der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Die fünf Länderberichte aus Skandinavien liegen nur in englischer Sprache vor, die Synthese zusätzlich auch in deutscher und schwedischer Sprache. Für Deutschland wird eine beschäftigungsorientierte Industriepolitik gefordert.
Die Webseite des Projekts mit allen Länderberichten
Die Synthese der Länderberichte
Der Länderbericht über Deutschland
Leitfaden für Betriebsräte in der Digitalisierung
Im Juni 2021 legte die Gewerkschaft GPA aus Österreich diese Broschüre mit dem Titel "Arbeitswelt 4.1" vor, was als Weiterentwicklung von "Industrie 4.0" zu verstehen ist. Die Autoren beschreiben darin, wie ein Betriebsrat auf "Augenhöhe" mit dem Management die notwendigen Prozesse mitgestalten kann. Ein Überblick mit Beispielen zeigt, was Digitalisierung in der Praxis bedeutet und wie sie sich im Arbeitsleben auswirkt, z. B. eine gesteigerte Ersetzbarkeit des Einzelnen, die zunehmende Entgrenzung von Beruf und Privatleben, steigender Arbeitsdruck, höhere Geschwindigkeit, elektronische Kontrollmöglichkeiten und weniger persönlicher Kontakt. Probleme mit dem Datenschutz und gesundheitliche Belastungen im Change-Management sind auch zu berücksichtigen. Die Handlungshilfe enthält neben Checklisten und Regelungsvorschlägen auch Hinweise für eine Betriebsvereinbarung zu den Themen "Homeoffice" (genauer gesagt: "Remote Work") und "Desksharing". Ein Glossar erklärt die wichtigsten Begriffe aus Arbeitnehmersicht.
Download der Broschüre
Blogbeitrag zum Thema
Studie über die Entwicklungstrends digitaler Arbeit
Gewerkschaftliche Grundsätze und Leitlinien zur Telearbeit
Untersuchung über "best practice" in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE)
Im Juli 2021 veröffentlichte die Hans-Böckler-Stiftung diese Studie über das Zusammenspiel von SE-Betriebsräten und mitbestimmten Aufsichtsräten. Die Autorinnen untersuchen anhand von sieben Fallstudien (zwei davon mit Drittelbeteiligung), wie SE-Betriebsräte und mitbestimmte Aufsichtsräte in Europäischen Aktiengesellschaften (SE) miteinander verbunden sind. Dabei werden die Ressourcen aus beiden Handlungsfeldern auf unterschiedliche Weise kombiniert und für die Interessenvertretungsarbeit nutzbar gemacht. Die Studie beschreibt nicht nur Kommunikation und Informationsaustausch zwischen Betriebsrat und Aufsichtsrat, sondern auch Funktionsweise und "Innenleben" von SE-Betriebsräten, die mit Europäischen Betriebsräten stark vergleichbar sind. Obwohl 85% aller SE-Umwandlungen in Europa allein auf Deutschland entfällt, gibt es in der Praxis nur wenige Beispiele einer guten Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Eine große Zahl von SE-Umwandlungen hat nämlich das Ziel, die Mitbestimmung zu vermeiden oder zu begrenzen.
Download der Studie
Rolle von Betriebsräten und Gewerkschaften im Whistleblowing-Prozess
Im August 2021 veröffentlichte Eurocadres, der europäische Dachverband für Fach- und Führungskräfte, in Zusammenarbeit mit der Universität Maastricht einen Hinweisgeber-Leitfaden in sechs Sprachen. Bis 17. Dezember 2021 haben die EU-Länder noch Zeit, die Whistleblower-Richtlinie in ihr nationales Recht umsetzen. Der Leitfaden erläutert die rechtlichen Anforderungen und praktischen Schritte zur Einrichtung angemessener interner Meldekanäle. Er zeigt auch auf, wie Betriebsräte und Gewerkschaften dabei eine aktive Rolle spielen können. Ein Kapitel des Leitfadens nennt Punkte, die der nationale Gesetzgeber gegenüber der Richtlinie noch verbessern könnte; ein anderes Kapitel beschreibt praktische Maßnahmen, die Arbeitgeber ergreifen sollten. Eurocadres hatte im Dezember 2020 bereits einen Praxisleitfaden zur neuen EU-Richtlinie vorgelegt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2021).
Download des Leitfadens
Download der übrigen Sprachversionen |
12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit
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US-Pharmagroßhändler akzeptiert funktionsfähigen EBR ab dem ersten Tag
Am 2. Juni 2021 verkaufte der US-Konzern Walgreens Boots Alliance fast sein gesamtes europäisches Geschäft an AmerisourceBergen, einen US-Pharmagroßhändler. Deutschland, Irland und eine Sparte im Vereinigten Königreich verbleiben bei Walgreens Boots Alliance. Seit Ankündigung der Transaktion im Januar 2021 fand eine umfassende Anhörung des EBR statt, bei der die finanziellen Rahmenbedingungen und Auswirkungen auf die Arbeitsplätze mit Unterstützung durch die Berater der EWC Academy genau untersucht wurden. Nach Zusage der zentralen Leitung, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben werde und der EBR vom neuen Eigentümer weitergeführt wird, gab er am 6. Mai 2021 eine positive Stellungnahme ab. Er bleibt im Tochterunternehmen Alliance Healthcare angesiedelt.
Somit gibt es für den Konzern AmerisourceBergen, der vorher keine Beschäftigten in Europa hatte, ab dem ersten Tag an einen funktionsfähigen EBR. Eine mehrjährige Phase ohne EBR und der Bildung eines Besonderen Verhandlungsgremiums konnte vermieden werden. Für ein US-Unternehmen ist dies nicht selbstverständlich - andere versuchen, einen EBR so lange wie möglich zu vermeiden, wie das Beispiel Hewlett-Packard zeigt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2017).
Landet der EBR von easyJet nach dem Brexit in Berlin?
Seit dem 31. August 2021 unterstützt die EWC Academy die Arbeitnehmervertreter von easyJet bei der Suche nach einer Lösung für die künftige Aufstellung des Europäischen Betriebsrates. Strittig ist das geltende nationale Recht nach dem Brexit und die Einbeziehung der sechs britischen EBR-Mitglieder. Die zentrale Leitung will einen völlig neuen EBR nach deutschem Recht. Die Fluggesellschaft hatte noch nie eine EBR-Vereinbarung und arbeitet seit Gründung des EBR nach den subsidiären Bestimmungen des britischen Rechts (siehe Bericht in den EBR-News 3/2012).
Der EBR möchte weiter im Heimatland des Unternehmens bleiben und die britischen EBR-Mandate behalten. Eine Klage vor dem Central Arbitration Committee (CAC) in London konnte er im Juni 2021 für sich entscheiden, die zentrale Leitung ging jedoch zum Arbeitsberufungsgericht für England und Wales (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021). Dort liegt inzwischen ein Gutachten der britischen Regierung vor, das die Meinung des EBR ausdrücklich stützt. Ungeklärt ist jedoch, ob die subsidiären Bestimmungen des deutschen Rechts die Einbeziehung britischer Delegierter auf Dauer sicherstellen.
Jährliche EBR-Fachtagung in Hamburg
Am 13. und 14. September 2021 fand die 13. Fachtagung für Europäische und SE-Betriebsräte unter Corona-Bedingungen statt. Ursprünglich war sie bereits für Januar geplant, musste dann aber wegen der Pandemie mehrere Monate verschoben werden. Trotz Reiserestriktionen fanden 41 Teilnehmer aus elf Ländern den Weg nach Hamburg. Im Jahr zuvor waren es vor Beginn der Pandemie noch beinahe doppelt soviele gewesen (siehe Bericht in den EBR-News 1/2020).
Am ersten Tag berichteten zwei EBR-Vorsitzende über ihre praktischen Erfahrungen, und zwar aus der Touristikgruppe TUI (siehe Bericht weiter oben) und aus dem US-Telekommunikationskonzern Verizon (siehe Bericht in den EBR-News 2/2021). Der zweite Tag stand ganz im Zeichen des Umgangs mit vertraulichen Informationen, was manchmal vom Management übermäßig restriktiv definiert wird (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020). Die nächste Fachtagung findet am 27. und 28. Juni 2022 statt. |
13. Aktuelle Seminartermine
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Die EWC Academy und ihre Vorläuferorganisation führt seit Januar 2009 Tagungen und Seminare für Mitglieder von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien durch. Bisher haben daran 855 Arbeitnehmervertreter aus 295 Unternehmen teilgenommen, viele von ihnen auch mehrfach. Das entspricht 25% aller transnationalen Betriebsratsgremien in Europa. Hinzu kommen zahlreiche Inhouse-Veranstaltungen und Gastvorträge bei anderen Veranstaltern.
Überblick über die bevorstehenden Seminartermine
14. Hamburger Fachtagung für Europäische und SE-Betriebsräte
Wie jedes Jahr findet auch 2022 unsere Fachtagung statt, und zwar am 27. und 28. Juni 2022. Zu Beginn werden neueste Entwicklungen in der EBR- und SE-Landschaft und eine Initiative des Europäischen Parlaments unter dem Titel "Demokratie am Arbeitsplatz" vorgestellt, danach folgen ein Unternehmensbeispiel und eine Untersuchung über transnationale Betriebsvereinbarungen. Am zweiten Tag beschäftigen sich Arbeitsgruppen mit verschiedenen EBR-Themen.
Das Programm der Fachtagung
Inhouse-Veranstaltungen
Eine Übersicht über mögliche Themen für Inhouse-Veranstaltungen finden Sie hier:
Beispiele für Inhouse-Seminare |
14. Impressum
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Die EBR-News werden herausgegeben von:
EWC Academy GmbH Rödingsmarkt 52, D-20459 Hamburg www.ewc-academy.eu
Verteiler der deutschsprachigen Ausgabe: 23.104 Empfänger Verteiler der englischsprachigen Ausgabe: 4.162 Empfänger Verteiler der französischsprachigen Ausgabe: 4.111 Empfänger
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