Nr. 4/2020 |
31. Dezember 2020 |
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1. Praktische Fragen zum Brexit und zur Corona-Krise
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Handelsabkommen bringt keine Rechtssicherheit für Europäische Betriebsräte
Ab 1. Januar 2021 unterliegt das Vereinigte Königreich nicht mehr EU-Gesetzen. In letzter Sekunde wurde am 24. Dezember 2020 ein Handelsabkommen erzielt, das der britischen Wirtschaft einen zollfreien Zugang zum Europäischen Binnenmarkt gewährt. Die EU konnte gleiche Wettbewerbsbedingungen ("level playing field") bei Arbeitnehmerrechten und Umweltstandards durchsetzen, allerdings werden sie auf dem bisherigen Niveau eingefroren. Verbesserungen muss das Vereinigte Königreich künftig nicht mitmachen.
Das Handelsabkommen definiert folgende Arbeits- und Sozialstandards, die einem besonderen Schutz unterliegen: (a) grundlegende Rechte am Arbeitsplatz, (b) Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb, (c) faire Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsstandards; (d) Unterrichtungs- und Anhörungsrechte auf Unternehmensebene; (e) Umstrukturierung von Unternehmen. Die Überwachung erfolgt nicht über den Europäischen Gerichtshof, sondern über ein dreistufiges Schlichtungsverfahren. Zunächst ist ein offizielles Konsultationsverfahren zwischen den Parteien vorgesehen. Nach 90 Tagen wird ein Gremium aus drei Experten die Frage prüfen, davon je einer aus der EU, aus dem Vereinigten Königreich und aus einer anderen Weltregion. Sie legen nach spätestens 195 Tagen ihren Abschlussbericht mit einer Empfehlung vor. Sollte sich eine Partei nicht daran halten, kann die andere Partei Strafzölle erheben.
Das Handelsabkommen im Wortlaut (siehe ab Seite 202)
Für Europäische Betriebsräte ergibt sich eine juristische Situation voller Widerspruch. Einerseits wäre die Abschaffung des britischen EBR-Gesetzes (TICER) ein Verstoß gegen das Handelsabkommen. Andererseits hat TICER keine Verbindung mehr zu den EBR-Gesetzen der EU-Länder und unterliegt nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Derzeit sind noch fünf Klagen vor dem Central Arbitration Committee (CAC) in London anhängig, erste Instanz im britischen EBR-Recht, darunter eine über die Wahl britischer Delegierter in den EBR des deutschen Siemens-Konzerns.
Schottland will zügig der EU beitreten
Am 17. Dezember 2020 gab Nicola Sturgeon, Erste Ministerin von Schottland, in einer Videokonferenz mit der Presse in Kontinentaleuropa zu erkennen, dass ein unabhängiges Schottland unverzüglich die EU-Mitgliedschaft beantragen werde. Bereits im März 2017 hatte sie in London die Genehmigung für ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum beantragt. Seither hat sich die Stimmung in der Bevölkerung gedreht: im April 2017 wollten nur 34% aller Schotten unabhängig sein (53% nicht), Mitte Dezember 2020 befürworteten bereits 52% die Unabhängigkeit (38% lehnten sie ab). Im Mai 2021 finden Landtagswahlen statt. Sollte die Schottische Nationalpartei (SNP) ihren Stimmenanteil auf 55% um fast zehn Prozentpunkte steigern, was aktuelle Umfragen voraussagen, dann stünde die Regierung in London unter großem Druck, das Referendum zu akzeptieren. Lehnt sie es ab, will die schottische Regierung den Gerichtsweg beschreiten. Auch nach der Vereinigung von Schottland und England 1707 behielt Schottland bis heute sein eigenes oberstes Gericht, den Court of Session.
Das Interview im Wortlaut
Kommentar in der schottischen Presse
Videokonferenzen sollen bis März 2021 befristet sein
Am 22. Oktober 2020 änderten die Gewerkschaftsföderationen in Brüssel ihren Notfall-Leitfaden für Europäische Betriebsräte und SE-Betriebsräte ab, den sie im März 2020 für Online-Sitzungen entwickelt hatten (siehe Bericht in den EBR-News 1/2020). Weil sich die Corona-Pandemie länger als erwartet fortsetzt, rufen sie nicht mehr zum Verschieben von jährlichen EBR-Sitzungen auf und empfehlen stattdessen Grundsätze für den vorübergehenden Einsatz von Videokonferenzen.
Ab März 2021 sollen Präsenzsitzungen wieder die Norm sein. Digitale Hilfsmittel dürfen das Recht auf persönliche Sitzungen nicht ersetzen, sonst wäre eine effektive Arbeit und eine solide Kommunikation zwischen den Delegierten nicht möglich (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Die Gewerkschaften empfehlen, ein Videokonferenzsystem mit der besten Qualität zu nutzen und Sitzungen auf mehrere Tage zu verteilen, die jeweils nicht mehr als einen halben Tag umfassen sollten. Der Leitfaden enthält auch Regeln für geheime Abstimmungen und eine Mustervereinbarung, die mit der zentralen Leitung abgeschlossen werden kann. Besondere Verhandlungsgremien sollen in der Anfangsphase noch keine virtuellen Sitzungen durchführen, weil die Delegierten sich meist noch nicht gut kennen. Den Leitfaden gibt es in acht Sprachen.
Der aktualisierte Notfall-Leitfaden im Wortlaut
Download weiterer Sprachversionen
Deutschland und Frankreich verlängern Rechtsgrundlage für Videokonferenzen
Seit 26. November 2020 sind in Frankreich Betriebsratssitzungen als Video- oder Telefonkonferenz und Beschlussfassungen über Instant Messaging möglich. Der Arbeitgeber, der in Frankreich immer die Sitzungen einberuft und leitet, muss die Arbeitnehmervertreter vorher darüber informieren. In bestimmten Fällen können sie eine virtuelle Sitzung ablehnen, insbesondere bei Massenentlassungen. Die Mehrheit der Betriebsratsmitglieder muss dies spätestens 24 Stunden vor Beginn der Sitzung mitteilen. Dies gilt bis zum Ende des Gesundheitsnotstandes, also mindestens bis zum 16. Februar 2021. Eine ähnliche Regelung gab es bereits im Sommer 2020 (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020).
Die Verordnung im Wortlaut
Kommentar des Gewerkschaftsbundes FO zur Verordnung
In Deutschland wurde der Einsatz von Videokonferenzen, der seit März 2020 ausnahmsweise zulässig ist (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020), über das Jahresende hinaus bis 30. Juni 2021 verlängert. Normalerweise können Betriebsräte in Deutschland nur in einer Präsenzsitzung tagen und Beschlüsse fassen. Die Sonderregelung bedeutet nicht, dass der Arbeitgeber Präsenzsitzungen des Betriebsrates verbieten kann. Darüber entscheidet ausschließlich der gewählte Vorsitzende, was Gerichte bestätigt haben (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Diese Sonderregelung gilt ebenfalls für Europäische Betriebsräte und SE-Betriebsräte, falls sie deutschem Recht unterliegen. Die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie wollen Videokonferenzen dauerhaft etablieren und hierzu eine unbefristete gesetzliche Regelung schaffen.
Bericht über die Fristverlängerung
Juristischer Kommentar zur Sonderregelung |
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2. Aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene
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Gewerkschaften kritisieren Untätigkeit der Europäischen Arbeitsbehörde
Am 16. Oktober 2020, dem Jahrestag der Gründung der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA), zeigten sich die europäischen Gewerkschaftsverbände enttäuscht über deren bisherige Arbeit. In einem offenen Brief an die Europäische Kommission bemängelten sie deren Untätigkeit in den ersten neun Beschwerdefällen, die ihr bereits am Gründungstag vorgelegt wurden (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).
Aufgabe der ELA ist es, die Zusammenarbeit der nationalen Behörden im Arbeits- und Sozialrecht zu stärken und durch gemeinsame Kontrollen zu helfen, dass EU-Recht befolgt wird. Potenzieller Betrug und Verletzung von Vorschriften, z. B. bei der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung (siehe Bericht in den EBR-News 4/2017), sollen besser aufgedeckt werden als bisher. Hierauf beziehen sich die neun Beschwerdefälle, die von den Gewerkschaften 2019 angezeigt wurden. Sechs davon betreffen Deutschland. Mit dem offenen Brief legten sie jetzt zwei weitere Beschwerdefälle vor.
Bericht über die neun Beschwerdefälle
Der offene Brief im Wortlaut
Hintergrundbericht über mobile Beschäftigung
Nachhaltige Unternehmensführung soll EU-weiter Standard werden
Am 26. Oktober 2020 startete die Europäische Kommission eine öffentliche Online-Konsultation zum Gesellschaftsrecht. Sie will bis Sommer 2021 den EU-Rechtsrahmen zur Corporate Governance verbessern. Statt auf kurzfristige Vorteile sollen sich Unternehmen mehr auf langfristige und nachhaltige Wertschöpfung konzentrieren und die Interessen von Aktionären, Managern, Arbeitnehmern und der Gesellschaft besser miteinander in Einklang bringen. Auch der Schutz der Menschenrechte in der Lieferkette und Umweltbelange gehören dazu.
Die Anhörung läuft noch bis zum 8. Februar 2021 und richtet sich an viele Interessengruppen, darunter Gewerkschaften, Betriebsräte und Aufsichtsratsmitglieder. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat steht zwar nicht im Zentrum der Anhörung, wurde aber im Juli 2020 in einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY im Auftrag der Europäischen Kommission mit untersucht.
Weitere Informationen über die Initiative
Der Fragebogen der öffentlichen Konsultation
Die Studie zur nachhaltigen Unternehmensführung
Die Hans-Böckler-Stiftung weist darauf hin, dass sich Unternehmen, bei denen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzen, seit der Finanzkrise besser entwickelt haben als Firmen ohne Mitbestimmung. Sie bilden mehr aus, bieten mehr Arbeitsplatzsicherheit, haben mehr Frauen im Aufsichtsrat, achten mehr auf Nachhaltigkeit in täglichen Entscheidungen, suchen öfter den Dialog mit Interessengruppen und koppeln die Vorstandsvergütung häufiger an Nachhaltigkeitsziele. Am 11. Februar 2020 hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bereits Eckpunkte für eine Rahmenrichtlinie zur Unterrichtung, Anhörung und Unternehmensmitbestimmung vorgelegt und seit Oktober 2019 läuft ein Aufruf von über 80 Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften, die EU-Richtlinien zu Menschenrechten und Umweltschutz fordern.
Informationen der Hans-Böckler-Stiftung
Die Eckpunkte des DGB im Wortlaut
Der Aufruf zu Menschenrechten und Umweltschutz
Bürgerbeauftragte kritisiert Beratungsauftrag für US-Fondsgesellschaft
Am 23. November 2020 legte die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O'Reilly einen Untersuchungsbericht über die Vergabe eines Beratungsauftrags an BlackRock Investment Management vor. Die Europäische Kommission hätte mögliche Interessenskonflikte bei dem US-Investor genau prüfen müssen, als sie ihm im März 2020 den Auftrag für eine Studie über grüne und soziale Kriterien beim Investment vergab. Die Fondsgesellschaft verwaltet und investiert Vermögenswerte in Billionenhöhe. Kritiker aus dem Europäischen Parlament meinten, hier werde "der Bock zum Gärtner gemacht".
Am 29. April 2020 hatten 92 globalisierungskritische und Umweltverbände sowie Gewerkschaften in einem offenen Brief die Europäische Kommission aufgerufen, den Beratervertrag zu stornieren. Die Europäische Kommission wies die Kritik zurück. Das Angebot von BlackRock sei mit 280.000 € das finanziell günstigste gewesen und alle anderen Anbieter hätten fast das Doppelte für die umfangreiche Studie verlangt. Die Bürgerbeauftragte kritisierte, dass BlackRock diese Expertise zum Dumpingpreis angeboten habe, um Einfluss auf die politische Regulierung im Feld ihrer eigenen Geschäftsinteressen zu nehmen. Die EU-Regeln seien nicht robust und klar genug, um es den zuständigen Beamten zu ermöglichen, Interessenskonflikte festzustellen. Einen Europäischen Bürgerbeauftragten gibt es schon seit 1995, er untersucht Beschwerden über Missstände in der Verwaltungstätigkeit der EU-Organe.
Der offene Brief gegen den BlackRock-Beratervertrag
Pressemitteilung der Bürgerbeauftragten
Der ausführliche Bericht der Bürgerbeauftragten
Pressebericht über die Entscheidung der Bürgerbeauftragten |
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3. Ist Personalabbau alternativlos?
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SE-Betriebsrat liefert Vorlagen für nationale Verhandlungen
Am 5. Oktober 2020 gab der SE-Betriebsrat von Airbus seine Stellungnahme zum Projekt Odyssey ab, das nach Planungen der zentralen Leitung den Abbau von 15.000 Arbeitsplätzen bis Ende 2021 vorsieht. Die Unterrichtung und Anhörung dazu hatte am 30. Juni 2020 begonnen und umfasste zehn Sitzungen. Der SE-Betriebsrat setzt ausschließlich auf freiwillige Maßnahmen beim Personalabbau, konnte sich aber nicht durchsetzen. Aus diesem Grund finden Verhandlungen über diese Grundsatzfrage jetzt in jedem Land getrennt statt.
Um das Projekt bewerten und richtig verstehen zu können, beauftragte er zwei Beratungsfirmen. Mit deren Unterstützung konnte ein ausführlicher Dialog mit den betroffenen Funktionsbereichen als auch mit der Konzernleitung geführt werden. Der daraus hervorgegangene Bericht enthält Analysen zu den Personaltransfers, dem Stellen- und Kompetenzabbau, den sozialen Begleitmaßnahmen sowie zu den Umbesetzungen an den verschiedenen Standorten in Europa. Die zentrale Leitung erklärte sich bereit, alle vorgeschlagenen Alternativen in Betracht zu ziehen und bei den Verhandlungen in jedem einzelnen Land zu besprechen. Der SE-Betriebsrat stellt den Bericht allen örtlichen Betriebsräten zur Verfügung, "um jegliches Risiko betriebsbedingter Kündigungen auszuschließen. Die Krise - ausgelöst durch die Corona-Pandemie - darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden."
Monitoring auf europäischer Ebene angestrebt
Der SE-Betriebsrat beantragte auch die Fortsetzung der monatlichen Sitzungen bis zur vollständigen Umsetzung des Odyssey-Projekts, um sicher zu gehen, dass in allen Ländern konstruktiv verhandelt wird, sowie um ein Follow-Up und eine Konsolidierung der sozialen Maßnahmen sicherzustellen. Am 24. September 2020 starteten Tarifverhandlungen zur Zukunft der Arbeitsplätze in Deutschland und am 12. Oktober 2020 wurde in Frankreich ein Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung abgeschlossen. In den deutschen Airbus-Werken gibt es bis Ende März 2021 keine betriebsbedingten Kündigungen.
Pressemitteilung des Europäischen Industriegewerkschaftsbundes
Bericht über die Proteste Anfang Juli 2020
Bericht über den Beginn der Tarifverhandlungen in Deutschland
Pressemitteilung zum Vertragsabschluss in Frankreich
Kampfabstimmung im Aufsichtsrat irritiert Gewerkschaften
Am 30. September 2020 beschloss der paritätisch mitbestimmte Aufsichtsrat des deutschen Automobilzulieferers Continental aus Hannover gegen die Stimmen der zehn Arbeitnehmervertreter den Abbau von 4.800 Arbeitsplätzen und die Schließung der Werke in Aachen und Karben (bei Frankfurt). Am 18. November 2020 stand die Schließung des Werkes in Roding in der Oberpfalz auf der Tagesordnung, die Arbeitnehmerseite wurde erneut überstimmt. Den Ausschlag gab der Vorsitzende des Aufsichtsrates von der Anteilseignerseite, der bei Stimmengleichheit eine doppelte Stimme hat. In deutschen Aufsichtsräten sind solche Kampfabstimmungen sehr selten, in der Regel wird vor der Sitzung ein Konsens gesucht. Im Juni 2017 hatte die Fusion der Gasproduzenten Linde und Praxair zu einer ähnlichen Situation mit erheblichem Presseecho geführt (siehe Bericht in den EBR-News 2/2017).
Continental hat mit der Corona-Krise zu kämpfen und will sich gleichzeitig stärker auf Digitalisierung und Elektromobilität ausrichten. Weltweit stehen 30.000 Arbeitsplätze zur Debatte, darunter 13.000 in Deutschland. Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte sich über das Ausmaß irritiert gezeigt und der Vorsitzende der Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, sprach sogar von einem "Kahlschlag-Konzept": "Continental hat die gesamte Mannschaft vor den Kopf gestoßen, die eigene Unternehmenskultur beschädigt und die Mitbestimmung mit Füßen getreten".
Pressebericht über die Situation
Forderung nach Reform der deutschen Unternehmensmitbestimmung
Die Schnelligkeit und fehlende Kompromissbereitschaft des Continental-Managements, die auch den Betriebsräten keine Möglichkeiten läßt, Alternativen zu Standortschließungen mit Hilfe von externen Beratungsgesellschaften zu untersuchen, hat die sehr sozialpartnerschaftlich eingestellte IG BCE hart getroffen. Am 10. November 2020 startete sie daher eine politische Initiative für eine bessere Corporate Governance und nachhaltige Konfliktlösung in Aufsichtsräten großer Kapitalgesellschaften. Sie fordert, dass bei wichtigen Entscheidungen (z. B. Änderung der Rechtsform in eine SE, Sitzverlagerung ins Ausland, Unternehmensverkäufe, Fusionen, Übernahmen, Werksschließungen, Massenentlassungen) im Falle eines Konflikts zwischen der Kapital- und der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat ein neutraler Schlichter eingesetzt wird, auf den sich das Gremium zuvor mit Zweidrittelmehrheit geeinigt hat. Der Einigungsvorschlag des Schlichters soll nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat abgelehnt werden können. Am 27. Oktober 2020 hatte bereits die SPD-Bundestagsfraktion ein Positionspapier zum Ausbau der Mitbestimmung vorgelegt.
Der Reformvorschlag der Gewerkschaft IG BCE
Pressebericht über den IG BCE-Vorschlag
Das Positionspapier der SPD im Wortlaut
Finnland will Mitbestimmung ausbauen
Am 19. November 2020 legte das finnische Arbeitsministerium den Bericht einer Arbeitsgruppe zur Mitbestimmungsreform vor, an der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften beteiligt waren. Bis zum 15. Januar 2021 läuft eine öffentliche Anhörung, danach wird die Regierung einen Gesetzentwurf erarbeiten, der Anfang März 2021 im Parlament verabschiedet werden soll. Ziel der Reform des "Gesetzes über die Zusammenarbeit im Unternehmen" ist es, die Arbeitnehmervertreter frühzeitiger als bislang in die strategische Unternehmensentwicklung einzubinden und ihren Einfluss im Fall von Betriebsänderungen zu stärken. Hierbei sollen sie Vorschläge unterbreiten und alternative Lösungen verhandeln können ("change negotiations").
Die Reform würde den Zugang der Arbeitnehmervertreter zu Informationen verbessern. Der Arbeitgeber soll mindestens vierteljährlich über die finanzielle Situation des Unternehmens, Regeln und Praktiken am Arbeitsplatz, Personalstruktur, benötigte Qualifikationen und das Wohlbefinden der Beschäftigten berichten. Gemeinsam soll dann ein Personalentwicklungsplan erstellt werden. Verbessert wird auch die Beteiligung der Arbeitnehmer auf der höchsten Ebene der Corporate Governance, wo ihnen in allen Firmen ab 150 Beschäftigte ein Fünftel der Sitze zusteht. Sie haben künftig ein Recht auf Schulungen, um ihre Rolle im Aufsichtsrat besser wahrzunehmen. Seit Juni 2019 hat Finnland eine rot-rot-grüne Regierung mit Beteiligung zweier linksliberaler Parteien. Der Koalitionsvertrag sieht den Ausbau der Mitbestimmung vor, "um das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu stärken". Vorher hatte Finnland eine konservative Regierung mit Beteiligung einer rechtspopulistischen Partei, was im September 2015 einen Generalstreik auslöste (siehe Bericht in den EBR-News 3/2015).
Pressemitteilung der Regierung
Die betriebliche Interessenvertretung in Finnland |
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4. Feindliche Übernahmen beschäftigen Betriebsräte
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Französische Betriebsräte erzwingen vorläufigen Fusionsstopp
Am 9. Oktober 2020 suspendierte ein Gericht in Paris auf Antrag mehrerer Betriebsräte des Abfall- und Wasserkonzerns Suez den Kauf eines 30%-Aktienpakets durch seinen Konkurrenten Veolia Environnement. Die Belegschaft will gemeinsam mit dem Suez-Management die Eigenständigkeit des Traditionsunternehmens erhalten und demonstriert seit Wochen mit dem Slogan "Always Suez" (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Veolia hatte die Aktien für 3,4 Mrd. € am 5. Oktober 2020 erworben, darf vorläufig aber die Stimmrechte nicht ausüben. Nach der Gerichtsentscheidung fielen die Aktien der betroffenen Unternehmen stark. Das Berufungsgericht von Paris bestätigte das Urteil am 19. November 2020. Die feindliche Übernahme ist damit für mehrere Monate gestoppt, wie 2006 im Fall Gaz de France (siehe Bericht in den EBR-News 1/2008).
Das Gericht gab dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statt, weil die Betriebsräte von Suez nicht über die "bereits getroffenen Entscheidungen" unterrichtet und angehört worden waren. Der Sekretär des Europäischen Betriebsrates sagte dazu: "Wir brauchen detaillierte, betriebswirtschaftlich fundierte und sozial nachvollziehbare Daten, damit die Arbeitnehmervertretungen sich eine gesicherte und begründete Meinung bilden können." Bisher gab es nur Informationen über die Presse. Sollte die Übernahme zustandekommen, wären 10.000 Arbeitsplätze bedroht, die Hälfte davon in Frankreich. Im Kampf gegen die feindliche Übernahme musste die Konzernleitung von Suez am 19. November 2020 eine Niederlage hinnehmen. Das Handelsgericht im Pariser Vorort Nanterre verbot die Verlagerung des Wassergeschäfts in eine niederländische Stiftung. Damit sollte der von Veolia Environnement geplante Verkauf der Sparte an einen Private-Equity-Fonds erschwert werden.
Die Affäre innerhalb der Affäre
Die Presse tituliert die Strategie von Veolia Environnement als einen "Blitzkrieg", um seinen Rivalen zu erobern. Durch den Erfolg der Betriebsräte vor Gericht sei daraus ein "Grabenkrieg" geworden, dessen Ausgang niemand vorhersagen kann. Das Aktienpaket gehörte dem Stromkonzern Engie, an dem der französische Staat mit 24% beteiligt ist. Im Engie-Verwaltungsrat kam es zu einer Kampfabstimmung, ob die Suez-Anteile an Veolia Environnement verkauft werden sollen. Unter den 13 Mitgliedern sind vier Arbeitnehmer- und drei Regierungsvertreter. Sieben Mitglieder stimmten dem Aktienverkauf zu und vier dagegen (inklusive der drei Regierungsvertreter). Zwei Arbeitnehmervertreter der Gewerkschaft CFDT nahmen an der Sitzung nicht teil, angeblich auf Wunsch des französischen Präsidialamtes. Alle diese Geschehnisse will die französische Linkspartei ("La France insoumise") mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufklären.
Pressebericht über die Gerichtsentscheidung
Pressebericht über die Transaktion
Interview mit dem Rechtsanwalt der Betriebsräte
Pressebericht über die Entscheidung des Berufungsgerichts
Sicherstellung von Pensionsansprüchen und Sozialstandards gefordert
Am 29. Oktober 2020 rief das Management von G4S gemeinsam mit dem Europäischen Betriebsrat die Aktionäre auf, ein feindliches Übernahmeangebot abzulehnen. G4S mit Sitz im Großraum London ist der größte Sicherheitsdienstleister der Welt (u. a. Geldtransport, Bewachung und Gebäudemanagement) mit 533.000 Beschäftigten in 85 Ländern. Seit dem 30. September 2020 versucht GardaWorld aus Kanada, den fünfmal größeren britischen Wettbewerber G4S zu schlucken. Am 9. Oktober 2020 reichte der US-Sicherheitskonzern Allied Universal ebenfalls ein Gebot ein. Er ist doppelt so groß wie GardaWorld, aber immer noch erheblich kleiner als G4S.
Für die betroffenen Arbeitnehmer steht viel auf dem Spiel, insbesondere ihre Pensionsansprüche. Der EBR weist in seiner öffentlichen Stellungnahme aber noch auf weitere Aspekte hin. So fordert er einen europaweiten Wirtschaftsausschuss, um Folgen künftiger Umstrukturierungen besser abzuschätzen. Beide Parteien sollen sich zur Sicherung der Arbeitsplätze und der bestehenden Arbeitsbedingungen verpflichten. GardaWorld hat dies bisher nur für das Vereinigte Königreich zugesagt. Der EBR lobt die EU-Arbeitsbeziehungen, den sozialen Dialog und die Tarifverhandlungen bei G4S und stellt fest, dass GardaWorld in diesen Fragen keinerlei Erfolgsbilanz vorweisen kann. Er bemängelt, dass es in beiden Unternehmen außerhalb Europas ungelöste Menschenrechts- und Arbeitsrechtsprobleme gibt.
Die EBR-Mitglieder befürworten einen modernen Ansatz für die Arbeitsbeziehungen mit regelmäßigem sozialen Dialog auf nationaler, europäischer und globaler Ebene. Ergänzt werden sollte dies durch eine transparente Berichterstattung im jährlichen Geschäftsbericht des Unternehmens, einschließlich eines speziellen Abschnitts für die Meinung der Arbeitnehmervertreter. G4S hat seit 1996 einen EBR (siehe Bericht in den EBR-News 4/2012) und vereinbarte 2008 ein internationales Rahmenabkommen mit den Gewerkschaften (siehe Bericht in den EBR-News 4/2008).
Pressebericht über die feindliche Übernahme
Die Stellungnahme des Europäischen Betriebsrates
Die Meinung der britischen Gewerkschaft GMB |
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5. Gerichtsentscheidungen und Geldstrafen
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Schwedisches Textilhandelsunternehmen muss Rekordstrafe zahlen
Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit verhängte am 1. Oktober 2020 ein Bußgeld von 35,3 Mio. € gegen die in Hamburg registrierte Gesellschaft Hennes & Mauritz Online Shop. In deren Servicecenter in Nürnberg wurden seit 2014 private Informationen über mehrere hundert Angestellte ohne deren Wissen gesammelt, u. a. zum Gesundheitszustand und Beziehungsleben. Vorgesetzte eigneten sich über Einzel- und Flurgespräche ein breites Wissen zum jeweiligen Privatleben an, das von harmlosen Details über familiäre Probleme bis hin zu religiösen Bekenntnissen reichte, und speicherten dies mit hoher Detailgenauigkeit in einer digitalen Personalakte. Durch einen Konfigurationsfehler waren diese Daten im Oktober 2019 für einige Stunden der gesamten Belegschaft zugänglich und wurden von einigen Angestellten zufällig entdeckt. H&M will den Betroffenen jetzt eine finanzielle Entschädigung von 2.500 € für die Verletzung ihrer Privatsphäre zahlen. Der Skandal führte auch dazu, dass im Sommer 2020 erstmals ein Betriebsrat im Servicecenter Nürnberg gewählt wurde.
Pressemitteilung des Datenschutzbeauftragten
Hintergrundbericht über den Sachverhalt
Das Bußgeld soll Arbeitgeber von Verletzungen der Privatsphäre abschrecken und basiert auf der EU-Datenschutz-Grundverordnung, die seit Mai 2018 in Kraft ist (siehe Bericht in den EBR-News 1/2016). Nach Artikel 83 müssen Geldbußen "wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" sein und können bis zu 4 % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes betragen. Auch der Erwägungsgrund 36 der EBR-Richtlinie verlangt "Sanktionen, die wirksam, abschreckend und im Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung angemessen sind". In einem Bericht stellte die Europäische Kommission im Mai 2018 jedoch fest, "dass in den meisten Mitgliedstaaten keine abschreckenden und verhältnismäßigen Sanktionen verhängt werden", wenn Rechte von Europäischen Betriebsräten missachtet werden (siehe Bericht in den EBR-News 2/2018).
Die Datenschutz-Grundverordnung im Wortlaut
Entlassung der stellvertretenden EBR-Vorsitzenden für nichtig erklärt
Am 13. Oktober 2020 urteilte der Oberste Gerichtshof in Madrid über die Frage, ob ein EBR-Mitglied entlassen werden darf, wenn es vertrauliche Informationen aus dem Europäischen Betriebsrat an Betriebsräte in Spanien weitergibt. Das US-Unternehmen IBM hatte die stellvertretende EBR-Vorsitzende fristlos gekündigt, was die Richter als Verletzung der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit einstufen. Neben der vollen Gehaltsnachzahlung erhielt sie eine Entschädigung von 18.000 € (die Obergrenze liegt in Spanien bei 25.000 €) und konnte nach fünf Monaten wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
Im Februar 2018 hatte sie unmittelbar nach einer EBR-Sitzung die spanischen Betriebsräte über einen bevorstehenden Personalabbau informiert. Die Betriebsräte informierten dann die Belegschaft. Am 9. April 2018 wurde sie fristlos entlassen, obwohl sie seit 1984 im Unternehmen beschäftigt war und seit 1999 dem EBR angehörte. Am 3. September 2018 erklärte ein Sozialgericht in Madrid die Entlassung für unwirksam. Das Unternehmen klagte jedoch weiter bis zum Obersten Gerichtshof und scheiterte in allen Instanzen. Die EU-Richtlinie schreibt ausdrücklich vor, dass EBR-Mitglieder die Betriebsräte in ihrem Land informieren dürfen (und müssen). Eine direkte Information der Belegschaft aus dem EBR heraus ist nur vorgesehen, wenn es in einem Land für einen Teil oder für die ganze Belegschaft keine Arbeitnehmervertretung gibt.
Personalabbau unterliegt grundsätzlich nicht der Geheimhaltung
Der Oberste Gerichtshof traf eine sehr weitreichende Entscheidung. Selbst wenn Informationen über eine Umstrukturierung von der zentralen Leitung ausdrücklich als vertraulich deklariert werden, können sie im EBR niemals der Verschwiegenheitspflicht unterliegen, wenn Arbeitsplätze betroffen sind. Diese Sichtweise teilt auch der Europäische Gerichtshof in einem Urteil von 2005. Ein Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat einer dänischen Bank informierte seine Gewerkschaft über eine geplante Fusion. Ein solcher Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht ist zulässig, wenn es um eine Weitergabe von Informationen zur Erfüllung gewerkschaftlicher Aufgaben geht, so die Einschätzung des Europäischen Gerichtshofes (siehe Bericht in den EBR-News 3/2009).
Diesen Grundsatz greift auch die EU-Richtlinie über den Schutz vertraulicher Geschäftsinformationen vom Juni 2016 auf. Erwerb und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen gelten immer als rechtmäßig im Rahmen der Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Anhörung und Mitwirkung und im Rahmen der kollektiven Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer einschließlich der Mitbestimmung (Artikel 3 und 5 sowie Erwägungsgrund 18).
Die EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Wortlaut
US-Computerhersteller verliert Rechtsstreit gegen seinen EBR
Am 2. Dezember 2020 entschied das Londoner Central Arbitration Committee (CAC), erste Instanz im britischen EBR-Recht, dass die zentrale Leitung von HP Inc. den EBR nicht ausreichend über den Abbau von 349 Arbeitsplätzen informiert hat. Am 7. Mai 2020 fand eine außerordentliche Videokonferenz des EBR statt, in der das Management nur oberflächliche Unterlagen vorlegte. Grund: alle wichtigen Informationen seien nur in den USA verfügbar.
In der mündlichen Video-Verhandlung am 5. November 2020 argumentierte der EBR, dass er aufgrund fehlender betriebswirtschaftlicher Daten nicht in der Lage war, "die möglichen Auswirkungen eingehend zu bewerten", wie es Artikel 2 f der EBR-Richtlinie vorsieht. Somit konnte er keine Stellungnahme abgeben. Das Unternehmen führte trotzdem den geplanten Personalabbau durch. Das CAC bestätigte nach Durchsicht umfangreicher Dokumente, Protokolle und Emails die Meinung des EBR, verhängte aber keine Sanktionen. Im Juli 2019 hatte das Arbeitsberufungsgericht für England und Wales bereits den Unterlassungsanspruch des EBR im vergleichbaren Fall des US-Unternehmens Oracle abgelehnt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019).
Das CAC begründete seine Entscheidung insbesondere mit folgenden Aspekten: Die zentrale Leitung hatte keine betriebswirtschaftlichen Gründe für den jeweils spezifischen Stellenabbau dargelegt. Auch fehlte eine Aufschlüsselung nach Ländern und nach Tätigkeiten. Es gab unzureichende Informationen über die damit verbundenen Einsparungen und Kosten. Auch die Auswirkungen auf die verbleibenden Arbeitnehmer und die Kunden wurden nicht mitgeteilt. Faktisch war die Sitzung am 7. Mai 2020 eine Art "Kinoveranstaltung" ohne die Möglichkeit, das Restrukturierungskonzept zu analysieren. Die CAC-Entscheidung zu HP Inc. erinnert an die Gerichtsentscheidung im Fall des Telekomausrüsters Alcatel-Lucent im April 2007 in Frankreich (siehe Bericht in den EBR-News 2/2007).
CAC-Entscheidung trotz Wechsel des nationalen Rechts
HP Inc. ist als Nachfolgeunternehmen von Hewlett Packard mit 40% Marktanteil der größte Hersteller von Druckern weltweit. Im Oktober 2015 wurde die Sparte für Unternehmenskunden unter dem Namen Hewlett Packard Enterprise (HPE) abgespalten. Von ursprünglich 300.000 Beschäftigten weltweit sind nur noch 50.000 bei HP Inc. verblieben, zumeist in Vertrieb und Service. Bei Hewlett Packard gab es schon 2012 ein Gerichtsverfahren. Auch damals war der Auslöser eine mangelhafte Unterrichtung über Massenentlassungen (siehe Bericht in den EBR-News 3/2012). Danach wurde der EBR aufgelöst und in den Nachfolgeunternehmen jahrelang verhandelt (siehe Bericht in den EBR-News 1/2017). Sowohl bei HPE als auch bei HP Inc. sind die Verhandlungen gescheitert und beide arbeiten auf Basis der subsidiären Bestimmungen ("kraft Gesetz"). Der EBR von HP Inc. unterlag bisher britischem und seit 1. November 2020 irischem Recht und er vertritt 9.350 Arbeitnehmer im Europäischen Binnenmarkt. Obwohl die Entlassungen abgeschlossen sind und das CAC jetzt nicht mehr zuständig ist, wurde das Verfahren bis zu Ende geführt. In Deutschland werden solche Klagen abgewiesen, wenn es sich um in der Vergangenheit liegende, abgeschlossene Vorgänge handelt, so zuletzt bei der Deutschen Telekom (siehe Bericht in den EBR-News 2/2019).
Die CAC-Entscheidung im Wortlaut |
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6. Verhandlungen über EBR-Vereinbarungen
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Französisches Familienunternehmen integriert deutsche Autowerkstätten
Am 7. Oktober 2020 konstituierte sich der Europäische Betriebsrat von Mobivia in einer Videokonferenz. Zuvor hatte ein Besonderes Verhandlungsgremium die seit 2005 bestehende EBR-Vereinbarung komplett überarbeitet. Mobivia hat seinen Sitz in Singem nahe der belgischen Grenze und übernahm 2016 die deutsche ATU-Gruppe mit 10.000 Arbeitnehmern in Deutschland und Österreich. Dadurch wuchs Mobivia auf die doppelte Größe mit 2.070 Werkstätten in 19 Ländern und wurde europäischer Marktführer für Fahrzeugwartung. Der EBR vertritt 21.300 Beschäftigte in acht EU-Ländern.
Im neuen EBR stellt die deutsche Belegschaft von ATU knapp die Hälfte der europäischen Belegschaft von Mobivia und hat fünf von 14 Sitzen. Das Präsidium besteht aus fünf Arbeitnehmervertretern, je zwei aus Deutschland und Frankreich und einer aus Portugal. Der EBR-Vorsitz liegt beim Arbeitgeber, der Sekretär kommt aus Deutschland und sein Stellvertreter aus Frankreich. Sie treffen sich mindestens einmal pro Quartal. Auch die 14 EBR-Mitglieder tagen jedes Quartal. Zusätzlich kann das Präsidium jederzeit eine außerordentliche Plenarsitzung des EBR einberufen. Sitzungen finden ausschließlich in Frankreich statt. Am Vortag treffen sich die Arbeitnehmervertreter zu einer internen Vorbesprechung, zu der jede Gewerkschaft ein Ersatzmitglied schicken kann. In den Plenarsitzungen berichtet nicht nur die zentrale Leitung, sondern auch das Management der einzelnen Länder.
Untypisch für eine französische EBR-Vereinbarung: es gibt kein festes Budget. Stattdessen trägt die zentrale Leitung - nach deutschem Vorbild - alle anfallenden Kosten inklusive einer Rechtsberatung für den EBR. Jedes Mitglied und Ersatzmitglied kann zehn Schulungstage in der vierjährigen Amtszeit in Anspruch nehmen, davon vier Tage individuell im jeweiligen Herkunftsland. Die Präsidiumsmitglieder haben neben den Sitzungszeiten Anspruch auf 15 Freistellungstage pro Jahr, die anderen Delegierten sieben Tage. Dem Präsidium stehen darüber hinaus insgesamt zwölf Tage pro Jahr zum Besuch von Niederlassungen zur Verfügung. Wie in Frankreich üblich, beauftragt der EBR einmal jährlich einen Wirtschaftsprüfer mit der Analyse der Unternehmensbilanzen.
Bericht über die konstituierende Sitzung
Französischer Pflegeheimbetreiber läßt Verhandlungen scheitern
Am 23. Oktober 2020 sind die Verhandlungen über eine EBR-Vereinbarung für Orpea gescheitert. Der Konzern betreibt etwa 1.000 Einrichtungen mit über 80.000 Betten in 14 EU-Ländern und ist durch Akquisitionen stark gewachsen. In Deutschland belegt er Platz vier der Branche. Europäischer Marktführer ist Korian, wo im April 2019 eine beispielhafte EBR-Vereinbarung unterzeichnet wurde (siehe Bericht in den EBR-News 2/2019), die damals allererste in der Pflegebranche.
Nach dem Antrag zur Gründung eines EBR im November 2017 fand die konstituierende Sitzung des Besonderen Verhandlungsgremiums im April 2018 in Bischofsheim (Elsass) statt. Die zentrale Leitung wartete bis kurz vor Ende der dreijährigen Verhandlungsfrist, bis sie ihren ersten Entwurf einer EBR-Vereinbarung vorlegte. Mitten in der Corona-Pandemie wollte sie die Verhandlungen nun während einer Präsenzsitzung an einem einzigen Tag zu Ende bringen und lehnte eine Videokonferenz ab. Sämtliche Delegierten weigerten sich anzureisen. Somit wird bei Orpea jetzt ein EBR "kraft Gesetz" auf Basis der subsidiären Bestimmungen des französischen Arbeitsgesetzbuches für die 60.000 Beschäftigten in der EU errichtet.
Das Management des börsennotierten Konzerns macht immer wieder durch gewerkschaftsfeindliches Verhalten auf sich aufmerksam. In Frankreich wurden Arbeitnehmervertreter der CGT ausspioniert und in Belgien gab es Streiks wegen zu niedriger Personalausstattung. Die deutsche Tochtergesellschaft Celenus lieferte sich eine jahrelange Auseinandersetzung mit der Gewerkschaft ver.di.
Bericht über die konstituierende BVG-Sitzung
Pressemitteilung zum Scheitern der Verhandlungen
Bericht über die Ereignisse in Deutschland |
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7. Ungewöhnliche Situationen für Europäische Betriebsräte
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Deutscher Softwareanbieter wechselt zum wiederholten Mal die Rechtsform
Seit dem 18. Juni 2020 ist CompuGroup Medical (CGM) mit Sitz in Koblenz eine SE & Co. KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien). Das börsennotierte Familienunternehmen entwickelt Software für das Gesundheitswesen und hatte sich im Februar 2016 in die Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft (SE) umgewandelt, um dadurch die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat einzufrieren (siehe Bericht in den EBR-News 1/2016). Jetzt gibt es in der SE überhaupt keine Mitbestimmung mehr und die beiden Arbeitnehmervertreter im SE-Aufsichtsrat haben ihr Mandat verloren.
Zwar unterliegt die KGaA jetzt der deutschen paritätischen Mitbestimmung, der Aufsichtsrat hat aber weniger Rechte als in einer SE. Von den zwölf Mitgliedern kommen - nach den in Kürze stattfindenden Wahlen - vier Arbeitnehmervertreter aus dem Unternehmen und zwei von den Gewerkschaften. Der SE-Betriebsrat mit 20 Mitgliedern wurde ebenfalls aufgelöst. Die Belegschaft kann zwar einen Antrag zur Gründung eines "normalen" Europäischen Betriebsrates stellen, die Verhandlungen können jedoch bis zu drei Jahre dauern. In der Zwischenzeit gibt es keine transnationale Vertretung für die Standorte in 15 europäischen Ländern mehr. CGM hat weltweit 6.300 Beschäftigte und ist auch in Südafrika, in der Türkei und den USA vertreten. Beim Saatguthersteller KWS Saat, der im Juli 2019 ebenfalls eine Umwandlung in eine SE & Co. KGaA vornahm, wurde der SE-Betriebsrat in einen EBR umgewandelt und konnte nahtlos weiterarbeiten (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).
Der Umwandlungsbericht im Wortlaut
Norddeutscher Baustoff- und Energiehändler verzichtet auf BVG
Seit dem 24. September 2020 firmiert die team Gruppe aus Süderbrarup (bei Flensburg) als eine Europäische Gesellschaft (SE). Das Unternehmen hat 3.200 Beschäftigte und ist nur in Deutschland vertreten. Während die Rechtsform SE meist zur Flucht aus der Mitbestimmung genutzt wird, ist es in der team SE genau umgekehrt. Bisher gehörten dem Aufsichtsrat vier Arbeitnehmer- und acht Anteilseignervertreter an.
In der SE ist jetzt fast eine Parität erreicht: fünf von elf Aufsichtsratsmitgliedern werden vom deutschen Konzernbetriebsrat benannt. Die Konstruktion spiegelt so die Mehrheitsverhältnisse, die das deutsche Mitbestimmungsgesetz bei Kampfabstimmungen im Aufsichtsrat vorsieht: die Arbeitnehmerseite kann durch das Doppelstimmrecht des Vorsitzenden immer überstimmt werden. Eine SE-Vereinbarung nur auf Basis der Drittelbeteiligung wäre bei weit über 2.000 Beschäftigten keine Auffanglösung gewesen.
Die Mitbestimmungsvereinbarung wurde am 11. Dezember 2019 zwischen der Unternehmensleitung und dem deutschen Konzernbetriebsrat geschlossen. Die Errichtung eines SE-Betriebsrates ist darin nicht vorgesehen, da es keine Arbeitnehmer im Ausland gibt. Aus dem gleichen Grund wurde auch kein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) gebildet. Die Unternehmensleitung bezeichnet dies in ihrem Verschmelzungsplan als unnötigen bürokratischen Akt. Der Verzicht auf ein BVG ist jedoch nur im Rahmen der EU-Fusionsrichtlinie möglich. Es kommen dann automatisch die Standardregeln zur Anwendung (siehe Bericht in den EBR-News 4/2017).
Pressemitteilung zur SE-Umwandlung
Der Verschmelzungsplan im Wortlaut
US-Management erklärt EBR für aufgelöst
Seit dem 20. Oktober 2020 gibt es im IT-Konzern Verizon angeblich keinen Europäischen Betriebsrat mehr. Über diese Entscheidung informierte die britische Niederlassung den bisherigen Vorsitzenden aus Frankreich. Die Zentrale in den USA beauftragte gleichzeitig die Tochtergesellschaft in Irland, Neuwahlen einzuleiten, was aber sehr schleppend erfolgt. Das Management ist über den EBR verärgert, weil er mehrfach vor Gericht zog. Am 1. Oktober 2020 wurde sogar eine Geldstrafe gegen das Unternehmen verhängt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020).
Das Management argumentiert, dass die bisherige EBR-Vereinbarung nach britischem Recht für eine vierjährige Amtszeit geschlossen und nicht verlängert wurde. Sie sieht keine Nachwirkung vor. Daher sei der EBR automatisch aufgelöst. Er müsse nun auf Basis der subsidiären Bestimmungen der EU-Richtlinie als EBR "kraft Gesetz" komplett neu gewählt werden. In der Zwischenzeit, die bis zu einem Jahr dauern kann, gibt es keinen EBR und Verizon kann Umstrukturierungen ohne Unterrichtung und Anhörung umsetzen. Gegen diese Rechtsauffassung hat der (angeblich nicht mehr existierende) EBR am 15. Dezember 2020 Klage beim Central Arbitration Committee (CAC) in London eingereicht. Der EBR wurde ursprünglich im März 2009 gegründet (siehe Bericht in den EBR-News 2/2009). |
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8. Streit über transnationale Betriebsvereinbarungen
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Gemeinsame Erklärung zur mobilen Arbeit bei UniCredit
Am 21. Oktober 2020 wurde zwischen der zentralen Leitung und dem Europäischen Betriebsrat der italienischen Bank UniCredit eine Erklärung zur mobilen Arbeit unterzeichnet, die für über 90.000 Angestellte in Europa gilt. Neben Italien, Deutschland und Österreich ist die Bank vor allem in Mittel- und Osteuropa stark vertreten. Die Richtlinien, Grundsätze und Mindeststandards der Erklärung werden durch örtliche Verhandlungen in den jeweiligen Ländern umgesetzt.
Die gemeinsame Erklärung zielt bereits auf die Zeit nach der Corona-Pandemie, um das berufliche und private Leben besser in Einklang zu bringen. Homeoffice soll nur auf freiwilliger Grundlage möglich sein und dabei die normale Arbeitszeit eingehalten werden, daher gibt es ein Recht auf Nichterreichbarkeit. Wichtig sind die Achtung der Privatsphäre und der Schutz personenbezogener Daten. Am Hauptsitz und in den zentralen Einrichtungen jedes Landes können 40% der Arbeitszeit auf wöchentlicher oder monatlicher Basis ins Homeoffice verlegt werden (z. B. zwei Tage pro Woche), in den Filialen sind es 20% (z. B. ein Tag pro Woche).
Der engere Ausschuss des EBR wird die Umsetzung regelmäßig überwachen. Die Erklärung nimmt ausdrücklich Bezug auf ein Positionspapier der europäischen Sozialpartner in der Finanzbranche zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigung vom November 2018. Bei UniCredit gibt es bereits vier transnationale Abkommen mit dem Europäischen Betriebsrat und seit Januar 2019 ein internationales Rahmenabkommen mit den Gewerkschaften (siehe Bericht in den EBR-News 1/2019).
Pressemitteilung zum Abschluss der Erklärung
Die Erklärung zur mobilen Arbeit im Wortlaut
Das Positionspapier der Sozialpartner in der Finanzbranche
Harsche Kritik der italienischen Bankgewerkschaft FABI
Am 13. November 2020 forderte der Generalsekretär der Gewerkschaft FABI, Lando Maria Sileoni (Foto), in einem Beitrag der Wirtschaftszeitung "Il Sole 24 Ore" den Arbeitgeberverband des Bankgewerbes ABI auf, gegen die gemeinsame Erklärung des Europäischen Betriebsrats und der Leitung von UniCredit einzuschreiten. Die FABI ist mit fast 100.000 Mitgliedern die größte Gewerkschaft der italienischen Finanzbranche und gehört UNI an, dem europäischen Verband der Dienstleistungsgewerkschaften, steht aber in Konkurrenz zu den drei großen italienischen Dachverbänden. Die Kritik weist auf einen grundlegenden Konflikt über die Rolle von Gewerkschaften einerseits und Europäischen Betriebsräten andererseits hin.
Nach Auffassung von Lando Maria Sileoni darf UniCredit die Arbeitsbedingungen für Italien nur mit den italienischen Gewerkschaften und niemand anderem aushandeln. "Der Europäische Betriebsrat kann weder verhandeln noch Rahmenvereinbarungen skizzieren oder festlegen". Die gemeinsame Erklärung verstoße gegen das italienische Arbeitsgesetzbuch und den nationalen Branchentarifvertrag. In Italien wird das Tarifvertragswesen in einem landesweiten Abkommen von den Tarifparteien selbst festgelegt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2018). Sileoni befürchtet prekäre Arbeitsbedingungen durch mobile Arbeit in Tochterunternehmen und die Möglichkeit, Bankprodukte online zu verkaufen. Derartige "wilde" Formen mobiler Arbeit bei UniCredit würden nicht nur zu einem weiteren Stellenabbau führen, sondern automatisch zum Verlust erworbener Rechte.
Der Beitrag im Wortlaut
Kann der EBR Verhandlungspartner für eine Betriebsvereinbarung sein?
Transnationale Betriebsvereinbarungen gibt es seit 2000 in immer mehr Unternehmen. Sie gehen über den engen Rahmen von Unterrichtung und Anhörung hinaus und regeln z. B. soziale Mindeststandards oder die vorausschauende Gestaltung von Betriebsänderungen. Häufig ist der Europäische Betriebsrat Initiator und an der Aushandlung und dem späteren Monitoring beteiligt. Bislang gibt es jedoch keine Rechtssicherheit für diese Vertragsform (siehe Bericht in den EBR-News 3/2013). Ungeklärt ist auch, wer die Vereinbarungen unterzeichnen soll: der Europäische Betriebsrat (= deutsches Modell) oder die Gewerkschaften (= französisches Modell) oder beide? In der Praxis setzt sich dabei immer mehr das deutsche Modell durch, wonach betriebliche Arbeitnehmervertreter die Verhandlungen führen und am Ende selbst unterzeichnen. Im September 2019 wurde dies in der italienischen Versicherungsgruppe Generali ebenfalls so gehandhabt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019).
Datenbank mit Texten transnationaler Betriebsvereinbarungen |
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9. Der Blick über Europa hinaus
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Japanischer Sportartikelhersteller erweitert Rahmenabkommen
Am 1. Oktober 2020 unterzeichnete Mizuno ein neues weltweites Rahmenabkommen mit zwei Gewerkschaften in Japan und dem Internationalen Industriegewerkschaftsbund (industriALL) in Genf. Es baut auf dem 2011 geschlossenen Abkommen auf und erweitert es erheblich. Mizuno verpflichtet sich nicht nur zu internationalen Arbeitsstandards, Menschenrechten und freier gewerkschaftlicher Betätigung für 5.100 Angestellte des Konzerns, sondern bezieht auch alle Zulieferer mit ein.
Konzernleitung und Gewerkschaften gründen ein weltweites Komitee für Arbeitsbeziehungen, das sich einmal jährlich trifft und die Vereinbarung überwacht. Die Gewerkschaften erhalten ein Zutrittsrecht zu allen Produktionsstandorten der Zulieferer auf der ganzen Welt. Bei Streitigkeiten kann jede Seite den Schiedsgerichtshofs der schweizerischen Handelskammern anrufen. Mizuno ist damit erst das zweite Unternehmen in Japan, das ein internationales Rahmenabkommen unterzeichnet hat. 2008 machte die Kaufhauskette Takashimaya den Anfang (siehe Bericht in den EBR-News 4/2008).
Bericht über das Abkommen
Das Rahmenabkommen im Wortlaut
Tchibo will Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Lieferkette minimieren
Am 12. November 2020 publizierte die zentrale Leitung der deutschen Kaffee- und Konsumgüterkette Tchibo eine gemeinsame Erklärung mit dem Internationalen Industriegewerkschaftsbund (industriALL) in Genf. Sie enthält die Verpflichtung, zur wirtschaftlichen Erholung der Bekleidungsindustrie und zur Sicherheit der Arbeiter in den globalen Lieferketten beizutragen. Zahlungen an die Zulieferer sollen stabil und verlässlich fließen, Gesundheit und Sicherheit aller Beschäftigten in der gesamten Non-Food-Lieferkette von Tchibo sichergestellt werden.
Das Hamburger Unternehmen hat 11.450 Beschäftigte, davon 7.400 in Deutschland. Geschäfte gibt es in sieben weiteren Ländern, insbesondere in Österreich, Tschechien und Ungarn. Seit September 2016 ist ein internationales Rahmenabkommen in Kraft (siehe Bericht in den EBR-News 3/2016) und Tchibo forderte im Dezember 2019 gemeinsam mit 43 Unternehmen ein Lieferkettengesetz, das auch von der Bundesregierung unterstützt wird (siehe Bericht in den EBR-News 4/2019).
Bericht über die gemeinsame Erklärung
Das Tchibo-Nachhaltigkeitsmagazin
Die Forderung nach einem Lieferkettengesetz
Berichte über die Arbeitswelt Südostasiens in Pandemiezeiten
Weltweites Programm zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden
Am 18. November 2020 unterzeichnete die zentrale Leitung von Axa mit dem Europäischen Betriebsrat eine Gesundheitscharta. Ziel der französischen Versicherung ist es, Sozialleistungen weltweit besser aufeinander abzustimmen. Jeder der 121.000 Beschäftigten hat alle zwei Jahre Anspruch auf eine vollständige ärztliche Untersuchung und eine jährliche Grippeimpfung. Axa wird in allen Niederlassungen rund um die Welt Informations- und Sensibilisierungstage anbieten, um Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Angestellte mit beruflichen oder persönlichen Problemen können Beratung und psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen. Die Umsetzung der Charta beginnt im Januar 2021 und wird vom Europäischen Betriebsrat überwacht.
Pressemitteilung des Unternehmens
Pressemitteilung des Europäischen Betriebsrates
Die Gesundheitscharta im Wortlaut |
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10. Kampagnen und Informationsdienste
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Petition für mehr Demokratie am Arbeitsplatz
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) kritisiert schon seit Jahren den mangelhaften EU-Rechtsrahmen für Demokratie am Arbeitsplatz. Die Corona-Pandemie mit ihren massiven sozialen und wirtschaftlichen Folgen zeigt besonders deutlich, warum die Beschäftigten ein Wort mitreden müssen. Am 16. Oktober 2020 startete er eine Online-Petition, die insbesondere eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmervertreter bei Restrukturierungen und eine Revision der EBR-Richtlinie fordert. Am 26. November 2020 wurde sie im Europäischen Parlament überreicht.
Die Petition im Wortlaut
Pressemitteilung zur Übergabe der Petition
Elektronische Leitfäden zum Arbeits- und Gesundheitsschutz
Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) mit Sitz in Bilbao (Spanien) stellt auf ihrer Webseite interaktive, mehrsprachige Leitfäden zur Verfügung. Dazu gehören E-Tools zum Umgang mit gefährlichen Stoffen im Betrieb, zu arbeitsbedingten Risiken im Bereich Fahrzeugsicherheit, zum Gesundheitsschutz für ältere Arbeitnehmer und zum Management von Stress und psychosozialen Risiken.
Überblick über die Leitfäden
Blogbeiträge zur europäischen Wirtschaftspolitik
Auf ihrer Webseite begleitet die Friedrich-Ebert-Stiftung die deutsche EU-Ratspräsidentschaft mit einer Blogreihe für eine nachhaltigere Wirtschaftsentwicklung. Dort schreiben Europa-Abgeordnete, Wissenschaftler, Gewerkschafter und Verbandsvertreter aus dem In- und Ausland über Visionen für die Zukunft der EU, den erhofften Green New Deal und die soziale Dimension Europas.
Der Blog zur progressiven Wirtschaftspolitik
Kampagne für faire Besteuerung von Internet-Konzernen
Multinationale Konzerne zahlen 30% weniger Körperschaftsteuer als lokale Unternehmen und die Steuerbelastung in der digitalen Wirtschaft ist mit knapp 9,5% nicht einmal halb so hoch wie in der traditionellen Wirtschaft mit 23,2%. "Konzerne zur Kasse", so lautet die Forderung einer Kampagne des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und der Bundesarbeiterkammer für mehr Steuergerechtigkeit.
Die Webseite zur Kampagne
Hintergrundbericht über die Steuervermeidungen
Forderung nach einer globalen Mindeststeuer |
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11. Neue Publikationen
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Übersicht über den Niedriglohnsektor in 28 europäischen Ländern
Am 28. Juni 2020 legte die Fraktion der Vereinten Europäischen Linken im Europäischen Parlament diese Gesamtanalyse der Mindestlohnsysteme in 28 Ländern (EU plus Großbritannien) vor. Neben Zahlen und Fakten über die Reichweite und das Niveau der Mindestlöhne in jedem einzelnen Land sind auch aktuelle Auseinandersetzungen zur Mindestlohnentwicklung im Detail beschrieben. Mindestlöhne definieren eine Untergrenze, unter der bestimmte Tätigkeiten nicht entlohnt werden dürfen. Die meisten europäischen Länder haben gesetzlich festgelegte Mindestlöhne, einige wenige Länder ein so gut funktionierendes Tarifvertragssystem, dass der Gesetzgeber überhaupt nicht tätig werden muss (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020). Als Baustein zu einer europäischen Mindestlohnpolitik legte die Europäische Kommission am 28. Oktober 2020 den Vorschlag einer EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne vor. Sie schreibt auch die Beteiligung der Sozialpartner an der Festlegung und Aktualisierung des Mindestlohns eines jeden Landes fest.
Download der Länderstudie
Bericht über den Vorschlag der Europäischen Kommission
Der Richtlinienvorschlag im Wortlaut
Kritische Bewertung des Richtlinienvorschlags
Arbeit und Innovation von Deutschland bis Südafrika
Im September 2020 ist diese Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen des Projekts "Gewerkschaften im Wandel 4.0" in vier Sprachen erschienen. Die Autoren skizzieren, wie Betriebsräte und IG Metall die Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten gestalten und sich proaktiv in Innovationsprozesse einbringen können. Sie beschreiben dies anhand von vier Fallbeispielen: ein bayerischer Standort von Mann+Hummel, Hersteller von Luftfiltersystemen; vier Standorte von Airbus in Norddeutschland; ein Getriebemotorenwerk von Siemens in Tübingen und der US-Automobilzulieferer Lear Corporation, wo auch der Europäische Betriebsrat einbezogen war. Nachdem umfangreiche Produktionskapazitäten in Serbien, Marokko und Südafrika entstanden sind, lud der EBR 2019 Gäste aus diesen Ländern zu seiner Sitzung ein. Anfangs weigerte sich das Management, vor den Gästen seinen Bericht abzugeben. Seit 2020 gibt es ein "Regional Partnership Meeting" für Europa und Afrika.
Download der Studie
Umgang mit Entlassungen im Vereinigten Königreich
Am 6. Oktober 2020 publizierte der britische Gewerkschaftsbund TUC einen Leitfaden zum Umgang mit Kündigungen. Im Vereinigten Königreich hat die Corona-Pandemie - stärker noch als in anderen Ländern - zu umfangreichem Personalabbau geführt (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020), weshalb der Leitfaden eine besondere aktuelle Bedeutung hat. Er enthält Kapitel über die verschiedenen Arten zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, über die Auswahlkriterien bei betriebsbedingten Kündigungen, über die Anhörung der Arbeitnehmervertreter bei Massenentlassungen und über den Rechtsweg. Dargestellt werden auch die besonderen Regeln in der Insolvenz und die für Auszubildende. Eine Fallstudie beschreibt die Qualifizierungsangebote nach dem Zusammenbruch des Tourismuskonzerns Thomas Cook im September 2019. Große Teile des in dem Leitfaden behandelten Arbeitsrechts beruhen auf EU-Vorgaben und sollen trotz Brexit bestehen bleiben.
Download des Leitfadens
Studie über die Wissenslücken britischer Firmen beim Kündigungsrecht
Jährliche Bestandsaufnahme der europäischen Arbeitswelt
Am 10. Dezember 2020 wurde ein Jubiläumsband der Reihe "Benchmarking Working Europe" in Brüssel vorgestellt. Das Jahrbuch fasst die wichtigsten Entwicklungen der Arbeitsbeziehungen in Europa zusammen und wird schon seit 20 Jahren vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI publiziert. Die aktuelle Ausgabe stellt die Corona-Pandemie in den Mittelpunkt, die sich als roter Faden durch alle Kapitel zieht. Behandelt werden die wirtschaftlichen Entwicklungen, der Arbeitsmarkt, Wege zu einem ökologischen Umbau der Wirtschaft, Mindestlöhne und Tarifverträge, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Demokratie am Arbeitsplatz. Am Ende folgt ein Ausblick auf mögliche Zukunftsszenarien nach der Pandemie. Für Europäische Betriebsräte ist das Kapitel 6 besonders interessant. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich Arbeitnehmerrechte während der Pandemie nicht in Quarantäne befinden. Trotz des bevorstehenden Tsunamis an Umstrukturierungen werden sie aber häufig ignoriert (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020).
Die Webseite zum Jahrbuch
Überblick zum Kapitel 6
Download des Jahrbuches 2020
Download der früheren Jahrbücher |
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12. Die EWC Academy: Beispiele aus unserer Arbeit
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EBR-Grundlagenseminar unter Corona-Bedingungen
Vom 20. bis 23. Oktober 2020 fand das jährliche Grundlagenseminar auf Schloss Montabaur statt. Der ursprünglich geplante Termin im April 2020 musste wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Obwohl für den Ersatztermin eine Reihe angemeldeter Teilnehmer kurzfristig absagten, ist ein kleiner Kreis von EBR-Mitgliedern aus sechs Unternehmen am Ende doch angereist. Auf dem Programm standen die Arbeitsbeziehungen der wichtigsten EU-Länder, die Ausgestaltung eines Konsultationsverfahrens und eine Reihe praktischer Fallbeispiele. Das Grundlagenseminar findet seit 2009 jedes Jahr statt.
Das Programm des EBR-Grundlagenseminars
SE-Grundsatzfrage auf dem Weg zum Bundesarbeitsgericht
Am 29. Oktober 2020 wies das Landesarbeitsgericht Hamburg den Antrag des deutschen Konzernbetriebsrates von Olympus zurück, ein Besonderes Verhandlungsgremium zu errichten. Die zentrale Leitung des japanischen Konzerns sträubt sich sowohl gegen die Bildung eines SE-Betriebsrates als auch eines Europäischen Betriebsrates sowie die (Wieder-)Einführung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Eine Konstruktion mit SE & Co. KG, zunächst ohne Arbeitnehmer als "Briefkastenfirma" in England gegründet und später nach Hamburg verlegt, fungiert heute als Holding für rund 7.000 Arbeitnehmer in Europa (siehe Bericht in den EBR-News 3/2019).
Die Konstruktion wird von arbeitgebernahen Juristen über alles gelobt, weil damit praktisch jede Form von grenzüberschreitender Arbeitnehmerbeteiligung inklusive Mitbestimmung im Aufsichtsrat komplett umgangen werden kann. Der Konzernbetriebsrat betrachtet dies jedoch als Missbrauch der durch EU-Recht geschützten Beteiligung der Arbeitnehmer und wird dabei von der EWC Academy beraten. Im Zuge der SE-Umwandlung mussten 2013 alle Arbeitnehmervertreter den Aufsichtsrat verlassen.
Das Landesarbeitsgericht Hamburg ließ die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu, weil "entscheidungserhebliche Rechtsfragen aus dem SE-Recht bei Gründung einer arbeitnehmerlosen SE und ihrer Sitzverlegung und der Frage nach dem anwendbaren Recht" bislang nicht höchstrichterlich geklärt sind. Da es sich hier um einen Präzedenzfall für die gesamte SE-Landschaft handelt, könnte das Bundesarbeitsgericht unverzüglich den Europäischen Gerichtshof einschalten, so wie im August 2020 im Fall des Softwarekonzerns SAP (siehe Bericht in den EBR-News 3/2020).
Hintergrundinformationen zur Rechtsform der SE
Aktuelles Interview und Artikel zur Mitbestimmungsflucht
In der Ausgabe Dezember 2020 der Fachzeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb" ist ein Interview unter der Überschrift "EBR-Gesetz braucht Nachbesserung" enthalten. Darin nimmt der Geschäftsführer der EWC Academy zu der Frage Stellung, was Europäische Betriebsräte von einem deutschen Arbeitsgericht erwarten können. Es gibt eine deutliche Lücke zu Gerichtsentscheidungen in Frankreich und Großbritannien bei EBR-Klagen. Das Interview endet mit dem Aufruf: "Das deutsche EBR-Gesetz ist eindeutig europarechtswidrig. Aber: Wo kein Kläger, da kein Richter!"
Das Interview im Wortlaut
Abonnement der Zeitschrift
Am 14. Dezember 2020 ist ein Fachbeitrag mit dem Titel "Flucht aus der Mitbestimmung - Tesla ist nur die Spitze des Eisbergs" in den Betriebsrats-News des Instituts zur Fortbildung von Betriebsräten (ifb) erschienen. Darin beschreibt der Geschäftsführer der EWC Academy, wie die Rechtsform SE und ausländische Rechtsformen genutzt werden, um die deutsche Mitbestimmung zu unterlaufen.
Der Beitrag in den Betriebsrats-News des ifb |
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13. Aktuelle Seminartermine
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Die EWC Academy und ihre Vorläuferorganisation führt seit Januar 2009 Tagungen und Seminare für Mitglieder von Europäischen Betriebsräten, SE-Betriebsräten und Besonderen Verhandlungsgremien durch. Bisher haben daran 844 Arbeitnehmervertreter aus 292 Unternehmen teilgenommen, viele von ihnen auch mehrfach. Das entspricht 25% aller transnationalen Betriebsratsgremien in Europa. Hinzu kommen zahlreiche Inhouse-Veranstaltungen und Gastvorträge bei anderen Veranstaltern.
Überblick über die bevorstehenden Seminartermine
13. Hamburger Fachtagung für Europäische und SE-Betriebsräte (geänderter Termin)
Wie jedes Jahr findet auch 2021 unsere Fachtagung statt, allerdings aufgrund der Corona-Pandemie nicht zum üblichen Termin im Januar, sondern am 13. und 14. September 2021. Zu Beginn werden neueste Entwicklungen in der EBR- und SE-Landschaft sowie die rechtlichen Folgen des Brexit präsentiert, danach folgen Fallbeispiele aus zwei Unternehmen. Einer der Schwerpunkte wird der richtige Umgang mit vertraulichen Informationen sein, die der EBR erhält - oder nicht erhält (siehe Bericht in den EBR-News 2/2020).
Bericht von der letzten Hamburger Fachtagung
Inhouse-Veranstaltungen
Eine Übersicht über mögliche Themen für Inhouse-Veranstaltungen finden Sie hier:
Beispiele für Inhouse-Seminare |
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14. Impressum
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Die EBR-News werden herausgegeben von:
EWC Academy GmbH Rödingsmarkt 52, D-20459 Hamburg www.ewc-academy.eu
Verteiler der deutschsprachigen Ausgabe: 22.842 Empfänger Verteiler der englischsprachigen Ausgabe: 4.009 Empfänger Verteiler der französischsprachigen Ausgabe: 4.031 Empfänger
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